Nachbarn

Der Nachbar mag seine Nachbarn nicht.

Oder vielmehr: Er duldet keine Farbveränderungen in seiner Umgebung.

Und: Er ist erpicht auf die Einhaltung der Grenzen.

Auf der einen Seite des Grundstücks hat der Nachbar einen undurchschaubaren, massiven, zwei Meter hohen Zaun aus Holz gebaut.

Der Zaun schützt den Nachbarn vor dem unerzogenen Nachbarshund, der vor einem Jahr über den zu dieser Zeit noch bedeutend niedrigeren Zaun auf das Nachbargrundstück gesprungen ist und dort auf den Smaragd gekackt hat.

Auf der anderen Seite gibt es eine Bedrohung, die nicht durch einen Zaun abzufangen ist.

Daher ist diese Seite des Grundstücks hell und offen, und die Grundstücksgrenze ist nur

durch eine Reihe gleichhoher, gleichgrüner, gleichförmiger Koniferen markiert.

Die Eindringlinge, die der Nachbar von hier fürchtet, starten ihren Angriff nur einmal

im Jahr, immer zu einer ähnlichen Zeit.

Zu Tausenden, vom unbebauten Nachbargrundstück aus, fallen sie ein.

Ihnen ist nur auf eine Art beizukommen.

Der Nachbar nimmt sich zu dieser Zeit im Jahr immer zwei Wochen unbezahlten Urlaub, um die Situation auf dem Nachbargrundstück genau überwachen und den richtigen Zeitpunkt bestimmen zu können.

Zum richtigen Zeitpunkt betritt der Nachbar das Nachbargrundstück mit seinem eigens dafür angeschafften Laubbläser und lenkt mit der Übung von einigen Jahren die silbernen Eindringlinge mit dem künstlichen Wind über die ans unbebaute Grundstück anschließende Straße bis in die Felder.

Dort sollen sie bleiben.

Der Nachbar geht dabei strategisch vor und befreit zuerst die an sein Grundstück anschließenden Bereiche.

Den Laubbläser richtet der Nachbar penibel genau aus, um Fehler zu vermeiden und sein perfektes Grün nicht in Gefahr zu bringen.

Erfahrungsgemäß dauert der Einsatz drei Tage.

Im Sommer vor vier Jahren musste der Nachbar den unbezahlten Urlaub verlängern, da es zu unerwarteten Verzögerungen kam.

Auf dem eigenen Grundstück findet der Nachbar keine Verwendung für den Laubbläser, da Laub dort gar nicht erst anfallen kann.

Ist alles befreit, freut sich der Nachbar.

Bis zum nächsten Jahr.

Dieses Jahr werde ich dem Nachbarn zuvorkommen.

Ich werde viel effektiver sein.

Ich werde auf die Vorbereitungen des Nachbarn achten und schneller sein, gegebenenfalls nachts zuschlagen.

Ich werde die Achänen mit einem Industriestaubsauger einsaugen.

Dann: schwarze Tonne. Müllverbrennung.

Ich bin auch für die Einhaltung der Grenzen.

Keine Überschreitung und Fremdbesiedelung.

Ich bin der Meinung, dass Vernichtung effektiver ist als Vertreibung.

Und mir ist Nachbarschaftshilfe wichtig.



Lektorat: Olivia Golde und Eva Schörkhuber


Prosa#7PS