Überlegungen zu Kriminalliteratur

Das Schreiben über Kriminalliteratur stößt auf eine Vielzahl von Schwierigkeiten, die schon bei der grundlegenden Frage beginnen: Was ist ein Kriminalroman?

Einen konsensfähigen Begriff des Kriminalromans gibt es nicht, stattdessen unzählige Definitionsversuche1, die einander teilweise widersprechen – und oft mehr über das begrenzte Verständnis der Definierenden aussagen als tatsächlich zur Begriffsklärung beitragen. Wenn ich versuche, eine Definition zu finden, so wäre es diese:

Ein Kriminalroman ist eine Prosaerzählung, in der ein Verbrechen dominant ist und eine Aufarbeitung stattfindet, die aber nicht zwangsläufig zur Aufklärung führt.

Da es keine eindeutige Definition des Genres gibt, ist auch eine kohärente Erzählung der historischen Entwicklung nur mit Einschränkungen möglich. In jedem Versuch einer solchen historischen Darstellung sind die Werke und Autor*innen, die nicht berücksichtigt werden, ebenso bedeutungsvoll wie die Werke, die inkludiert werden. Grundsätzlich kann man sagen, dass sich der Kriminalroman im Verlauf des 19. Jahrhunderts aus verschiedenen literarischen Strömungen entwickelt hat. Und in der Kriminalliteratur verhält es sich wie in der Literatur insgesamt: Die Werke von Autorinnen und nicht-weißen Schreibenden sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Sie wurden nicht mehr verlegt, sind vergriffen, wurden nicht in Anthologien aufgenommen. Ihnen wurde schlichtweg nicht dieselbe Sorgfalt und das Forschungsinteresse zuteil wie den Werken von weißen Autoren. Das zeigt sich im Hinblick auf Autorinnen beispielhaft am psychologischen Spannungsroman, der in Überblicksdarstellungen zur Kriminalliteratur wenig beachtet wird.

Ein Begriff mit Folgen

Als psychologischen Spannungsroman bezeichne ich Bücher, die ab den 1940er-Jahren insbesondere (aber nicht ausschließlich) in den USA erschienen sind und ihren Blick auf verbrecherische Dispositionen sowie Verbrechen lenken, die möglicherweise gar nicht stattgefunden haben. Deshalb verschiebt sich der Fokus auf die Figuren, ihre Beziehungen und ihr Innenleben.

Für psychologische Spannungsromane gibt es viele Bezeichnungen: suspense novel, domestic suspense, suspense fiction usw. Jahrelang wurden (und werden teilweise noch heute) die Titel von Autorinnen wie Patricia Highsmith, Margaret Millar und Ruth Rendell als Psychothriller bezeichnet, mittlerweile wird dieser Begriff aber hauptsächlich auf Thriller mit Serienkillern und anderen Schlitzern angewendet.2 Bei diesen Bezeichnungen zeigt sich also, was gerade für die Kriminalliteratur wichtig ist: sie sind „umgangssprachlich und buchmarktbedingt“3. Sie folgen Marketingmechanismen.

Der Begriff psychologischer Spannungsroman hat den Vorteil, dass er den Handlungsort nicht auf die domestic sphere reduziert und auf eine weitere wichtige Eigenheit dieser Titel verweist: Sie werden gelegentlich schlichtweg als Romane bezeichnet. Das impliziert aber nicht eine – von mir begrüßte – Abkehr von Genre- und Subgenredefinitionen4, sondern soll Rezeption und Wertung steuern. Gerade in Deutschland zeigt sich weiterhin, dass Kriminalliteratur oftmals der „ernsten“ Literatur (also der Literatur, die nicht als Genreliteratur gilt) hierarchisch untergeordnet wird.5 Liest man also, dass eine Autorin wie Patricia Highsmith keine Spannungsromane (oder gar Psychothriller) schreibe, sondern Romane, so soll das die Autorin aufwerten, auch wenn diese Einordnung mit Blick auf die meisten ihrer Bücher meiner Einschätzung nach nicht zu halten ist.

Genrehierarchien und ihre Konsequenzen

Dieser hierarchisierende Blick auf Literatur hat Folgen insbesondere für die Genreliteratur, ein Feld, in dem ohnehin qualitativ sehr verschiedene und oftmals auch aus unterschiedlichen Medien stammende Werke aufgrund ihres Sujets zusammengefasst werden. Kriminalliteratur gehört – mit Science Fiction – zu den „angesehensten“ Genres, was meines Erachtens auch damit zusammenhängt, dass beide vielfach von Männern gelesen werden. Zudem wird Autoren (sowie Regisseuren) zugesprochen, diejenigen Werke geschaffen zu haben, die jeweils eine Genre definieren oder prototypisch für es stehen. Dennoch findet eine fundierte Auseinandersetzung mit Kriminalliteratur nur selten statt. Im Feuilleton wird sie oftmals auf Sonderseiten oder in Kolumnen behandelt, eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Kriminalliteratur ist weiterhin die Ausnahme und zeugt oftmals von einer dünnen Materialbasis. Deshalb sollte es hier zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Expert*innen und Wissenschaftler*innen kommen.

Zudem wiederholt sich der hierarchisierende Blick auf Kriminalliteratur innerhalb der Kriminalliteratur. Bestimmte Spielarten wie Politthriller und Noir-Romane werden als „literarisch“ (sic!) und bedeutend angesehen – das zeigt sich an Kritiken, durch Aufnahme in Überblicksdarstellungen usw. Ihnen wird eine „Welthaltigkeit“ attestiert, die bei psychologischen Spannungsromanen, die oft vom weiblichen Alltag erzählen, nicht gesehen wird. Diese Zuschreibungen sind in den vergangenen Jahren zwar ins Wanken geraten, werden aber immer noch unreflektiert wiederholt. Ihnen liegen dieselben Strukturen und Mechanismen zugrunde, die im Hinblick auf Nicht-Genre-Literatur durch verschiedene Initiativen in den vergangenen Jahren – #frauenzählen oder #breiterkanon – vielfach kritisiert wurden. Doch obwohl (oder gerade weil?) Kriminalliteratur in Deutschland das populärste Genre ist, werden diese Zuschreibungen außerhalb krimiaffiner Gruppierungen kaum problematisiert.

In den USA, Großbritannien und Irland gibt es hingegen erste Ansätze, psychologische Spannungsliteratur zu untersuchen und zu würdigen.6 Seit dem kommerziellen Erfolg von Gillian Flynns Gone Girl (2012) und den daran anknüpfenden Büchern gibt es größeres Interesse am domestic thriller, der als Nachfolger der psychologischen Spannungsromane der 1950er- und 1960er-Jahre gesehen wird. Das zeigt sich bei Wiederentdeckungen wie z.B. der von Sarah Weinman herausgegebenen Anthologie Troubled Daughters, Twisted Wives (2013) und der Sammlung Women Crime Writers. Eight Suspense Novels of the 1940s & 1950s (2015). In deutschsprachigen Ländern setzt indes eine Wiederentdeckung oder Neubewertung von deutschsprachigen Krimi-Schriftstellerinnen aller Genrespielarten nur zögerlich ein.7

Den Blick auf Kriminalliteratur verändern

Tatsächlich zeigt sich bei einer systematischen Betrachtung psychologischer Spannungsliteratur, dass sich der Blick auf Kriminalliteratur verändert. In den 1940er-Jahren begannen Autorinnen wie Dorothy B. Hughes und Vera Caspary innerhalb des Ermittlerkrimis, Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen zu hinterfragen.8 Sie unterliefen bekannte Krimimuster, nach denen Frauen entweder matronenhafte asexuelle Rätsellöserinnen, sexualisierte, gefährliche femme fatales oder Leichen sind und schufen aktive, selbständige und selbstbewusste Frauenfiguren, die zwar stets innerhalb der zu erwartenden gesellschaftlichen Grenzen agierten, aber dadurch begann auch eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen, die sich beispielhaft an dem Umgang mit Mutterschaft in der psychologischen Spannungsliteratur zeigt.

Neue Frauenfiguren

Zu Beginn von Evelyn Pipers Bunny Lake is missing (1957) will die Protagonistin Blanche ihre dreijährige Tochter Bunny aus der Vorschule abholen. Nur ist Bunny nicht dort. Sie ist verschwunden. Blanche alarmiert Lehrerinnen und Polizei, muss aber bald erkennen, dass ihr niemand glaubt, dass Bunny überhaupt existiert. Tatsächlich sät Piper sehr klug Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit ihrer Protagonistin: Es gibt keinerlei Kinderkleidung in ihrem Apartment; Bunnys Vorschuldirektorin hat keinen Eintrag zu dem Kind; es gibt niemanden in dem Apartmenthaus, der sie jemals gesehen hat. Daher bleibt es nur bei dem Wort von Blanche, dass es ihr Kind gibt. Als unverheiratete Frau, die durch die Affäre mit einem verheirateten Mann ein Kind bekommen hat, ist sie per se suspekt. Der Psychiater Dr. Newhouse ist überzeugt, Blanche habe Bunny nur erfunden, weil sie ein schlechtes Gewissen wegen der Affäre habe.

Der Blick der Gesellschaft auf Blanche ist klar: Sie wurde bereits verurteilt, bevor Bunny verschwindet oder es Zweifel an ihrer Existenz gibt. Zudem wird Blanche von der ersten Seite an durch ihr Aussehen definiert. Jeder Mann, der ihr begegnet, nimmt vor allem ihre Schönheit wahr, und übersieht ihre Verzweiflung und Notlage – vielmehr bemerkt der Psychiater, dass sie noch schöner sei, wenn sie verzweifelt ist. Pipers Text markiert diesen Blick auf Blanche, die kein passives Opfer oder eine mad woman ist, sondern eine selbstbewusste moderne Frau, die sich schließlich in Ermangelung von staatlicher Hilfe selbst zur Gerechtigkeit verhilft.

Die Männer und die Lehrerin pathologisieren Blanche als „hysterisch“ und damit als nicht mehr zurechnungsfähig.

Ähnlich ergeht es Louise in Celia Fremlins The Hours Before Dawn (1958, Die Stunden vor Morgengrauen), die permanent gegen ihre Müdigkeit und Frustration ankämpfen muss, weil ihr drittes Kind jede Nacht schreit. Als sie sich dann von der neuen Untermieterin bedroht fühlt, glaubt ihr niemand. Dabei fängt Fremlin nicht nur Louises Erschöpfung gekonnt ein, sondern gibt auch einen scharfsinnigen Kommentar zur gesellschaftlichen Betrachtung von Mutterschaft ab. Indem sie die wertenden Ratschläge, die Louise bekommt, und die Gewissheit aller, dass es nur ihre Schuld sei, dass das Kind schreit, darstellt, macht sie das Problem sichtbar.

Blanche muss ihre Tochter finden, um zu beweisen, dass sie als Mutter geeignet ist; Louise wird ihren schreienden Sohn am Ende retten – mütterliche Fürsorge wird erst dann heroisch, wenn sie gebraucht wird. Beide Male entpuppt sich eine ältere kinderlose Frau als Täterin. Damit ist klar, dass beide Mütter zurechnungsfähig sind. Aber noch etwas anderes: Die Frauen, die die traditionellen Rollen akzeptieren, sind bereit, alles zu tun, um als „gute Frau“ zu gelten. Dazu gehört, ein Kind zu haben. Weil sie selbst kein Kind geboren haben, entführen sie das Kind einer anderen Frau, um diese „Bedingung“ zu erfüllen. Es sind die verinnerlichten Erwartungen einer patriarchalen Gesellschaft, die sie zu Verbrecherinnen, zu Psychopathinnen gemacht haben.

Erst in den 1960er-Jahren wird das allmählich aufbrechen: In Guy Cullingfords (Pseudonym von Constance Lindsay Taylor) Third Party Risk (1962, Frauen sind gemeinsam stark) gibt es eine kinderlose Anwältin, die eine Affäre mit einem verheirateten Kollegen hat, dafür aber nicht bestraft wird, sondern letztlich die Frauenfigur ist, die sich behauptet. Cullingford benennt ihre Einsamkeit, ihr Hadern mit ihrem Leben, verweigert ihr aber kein zufriedenstellendes Ende.

Auseinandersetzungen mit Körperlichkeiten

Zwei kinderlose Frauen gibt es auch in Margaret Millars Do Evil in Return (1950, Wie Du mir). Die eine ist Dr. Charlotte Keating, eine Ärztin, die sich zu Beginn weigert, bei der jungen schwangeren Violet eine Abtreibung durchzuführen, weil es gesetzlich verboten ist. Sie hat ein schlechtes Gewissen deswegen und als Violet ermordet aufgefunden wird, wird auch sie bedroht. Am Ende stellt sich heraus, dass die kinderlose Ehefrau von Charlottes Geliebtem die Mörderin war. Während Charlotte ein erfülltes Leben ohne Kind und Ehemann hat, war die Mörderin noch ganz der alten Zeit verhaftet und konnte weder das Verblassen ihrer Schönheit noch das Älterwerden und ihre Kinderlosigkeit verwinden. In diesem Roman aus dem Jahr 1950 steckt noch etwas anderes: Hätte Charlotte die Abtreibung durchgeführt, wäre sie vermutlich im Gefängnis gelandet. Weil sie sich weigerte, musste Violet sterben. Es ist die staatliche Kontrolle über den weiblichen Körper, die in jedem Fall dazu geführt hätte, dass das Leben einer Frau endet.

Psychologische Spannungsliteratur weist einen anderen Umgang mit dem weiblichen Körper auf. In Charlotte Armstrongs Mischief (1950) wird durch die Frauenfiguren deutlich, wie komplex der Zusammenhang zwischen Frausein, Mutterschaft und Sexualität ist. Patricia Highsmiths frühe Spannungsromane sind durchzogen von einem Unbehagen insbesondere gegenüber weiblicher Sexualität.9 In Masako Togawas Schwestern der Nacht (1963) werden alleinstehende Frauen ermordet, die Sex mit einem attraktiven Mann haben und ahnen, dass sie ihn danach nie wiedersehen. Aber nicht er ist der Täter.

Darüber hinaus liefern diese Romane einen ersten Gegenpol zu einem der beliebtesten Motive – oder auch plot device – vieler Kriminalerzählungen: die tote Frau. Es ist eine zumeist weiße, junge, schöne Frau, die ermordet wurde und deren Körper ausgiebig betrachtet und seziert wird. Die Körper der Frauenfiguren bei Celia Fremlin oder Evelyn Piper sind indes nicht nur sehr lebendig, sondern verfügen auch über ein eigenes Wissen. In Bunny Lake is missing wacht Blanche Lake im Apartment des Psychiaters auf: „Her body knew its treachery before her sleepy mind did.“ Ebenso wie Fremlins Louise versucht Blanche absichtlich bestimmte Gedanken nicht zuzulassen. Diese Frauen wissen, dass sie kaum Hilfe von außen erhalten können, sondern selbst eine Lösung finden müssen. In der Beschreibung ihres Innenlebens wird die Ambivalenz des (körperlichen) Wissens und (gedanklichen) Verweigerns deutlich. Dazu greifen die Autorinnen auch auf Traumsequenzen zurück, um die zunehmende Verunsicherung ihrer Protagonistinnen zu schildern – auch hier zeigt sich, dass sie völlig auf sich allein gestellt sind. Weil Gewalt und Verbrechen nicht ausgespart werden, verleihen diese Romane einem weiblichen Erleben Ausdruck, das so in Nicht-Kriminalliteratur nicht stattfindet.

Zu reich, zu weiß, zu hetero

Eine Stärke der psychologischen Spannungsromane der 1950er- und 1960er-Jahre besteht in dem oftmals hinterhältigen Umgang der Autorinnen mit gesellschaftlichen Normen. Sicherlich spielen sie in einem heteronormativen weißen Setting der Mittel- bis Oberschicht. Das ist die Normalität, die sie behaupten, während sie deren Rollenerwartungen zersetzen. Deshalb lässt sich gegen sie einwenden, dass sie übersehen, dass die patriarchale Gesellschaft andere Frauen ebenfalls einengt. Für jene Jahre würde ich als Erklärung auf die ökonomischen Bedingungen der Literatur insbesondere von Frauen verweisen, auf die ausschließenden Mechanismen des Buchmarktes.10 Leider treffen diese Kritikpunkte jedoch auch auf viele psychologische Spannungsromane – domestic thriller – der Gegenwart zu. Weiterhin spielen sie überwiegend in einem heterosexuellen weißen Milieu ohne finanzielle Sorgen, das aber nicht mehr nur eine Normalität widerspiegeln soll, sondern eher auf voyeuristische Neigungen abzielt: die Neugier, wie es hinter den Fassaden teurer Häuser und in Designerbetten zugeht. Die oftmals unzuverlässigen Erzählerinnen verzweifeln nun nicht mehr an den Rollenerwartungen, die an sie gestellt werden, sondern an privaten Beziehungen, die sie in der Regel mit Männern führen. Dadurch entsteht die paradoxe Situation, dass diese Romane viele aktuelle Themen aufgreifen könnten – häusliche Gewalt, die gestiegenen Erwartungen an Frauen, die konstante gesellschaftliche Beurteilung ihres Verhaltens und Aussehens sowie ihren Kampf darum, dass ihnen und ihrer Wahrnehmung geglaubt wird –, stattdessen aber diese in den 1950er-Jahren entwickelten „literarischen Subversionen“11 lediglich zum Spannungsaufbau nutzen.12

Das feministische Potential psychologischer Spannungsromane

Autorinnen haben seit den 1940er-Jahren den Blick auf Verbrechen verändert. Sie schauten nicht mehr auf die mean streets, in Großstadtapartments oder englische Landhäuser, sondern hinter die oftmals blütenweißen Fassaden der bürgerlichen Mittelschichtshäuser. Autorinnen wie Patricia Highsmith, Margaret Millar, Guy Cullingford, Charlotte Armstrong, Elisabeth Sanxay Holding, Celia Fremlin, Evelyn Piper und die Japanerin Masako Togawa sezierten die Beziehungen innerhalb von Familien, zwischen Eheleuten, Müttern und ihren Kindern. Sie finden dort Verworfenheit, Düsterheit, Abgründe; sie decken auf, dass dort Gewalt stattfindet. Mit ihrem Romanen haben sie ihre eigenen literarischen Subversionen geschaffen, die schon mit der scheinbaren Alltäglichkeit beginnen, aus der sich dann höllische Trips entwickeln. Sie verweisen auf die Beschränkungen und Überlastungen, denen Frauen durch die damaligen Rollenerwartungen ausgesetzt sind, das Unbehagen im Umgang mit Sexualität und Körpern. Sie greifen den gesellschaftlich dominanten männlichen Blick auf Frauen auf und konfrontieren ihn mit einem weiblichen Blick. Sie setzen den toten Frauen aktives Handeln entgegen. Und darin liegt ein weithin übersehenes feministisches Potential dieser psychologischen Spannungsliteratur.

Lektorat: Kaśka Bryla und Jessica Beer

1 Einen sehr kurzen Überblick mit weiterführenden Literaturhinweisen liefert Jochen Schmidt in Gangster, Opfer, Detektive. Eine Typengeschichte des Kriminalromans. Hildesheim 2009.

2 Wann und unter welchen Bedingungen das umgeschlagen ist, ist eine weitere interessante Frage.

3 Thomas Wörtche: Kriminalroman. In: Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft. Band II. New York, 2000. S. 343.

4 Auch der Begriff „Genre“ wird hier lediglich als Ordnungsmittel verwendet, um einfache Abgrenzungen vorzunehmen, die aber keinesfalls statisch oder unwiderruflich zu verstehen sind. So ist es je nach Definition nicht unmöglich, dass ich denselben Roman verschiedenen Subgenres zuordnen könnte.

5 In dieser Hierarchie drückt sich eine Abwehr und ein Misstrauen gegenüber dem Populären aus, die eher auf Distinktionsgewinn denn Erkenntnis abzielt.

6 Vgl. hierzu v. a. Laura Joyce, Henry Sutton: Domestic Noir. The New Face of 21st-Century Crime Fiction. 2018.

7 So ist beispielsweise erst seit 2022 eine Neuausgabe von Pieke Biermanns Berlin-Quartett im Ariadne Verlag erhältlich, obwohl sie eine der wichtigsten Krimi-Schriftstellerinnen hierzulande ist, die zudem auch ins Englische übersetzt wurde.

8 Bis auf wenige Ausnahmen wurde die binäre Geschlechtsidentität nicht hinterfragt – auch gibt es nur sehr wenig queere Kriminalliteratur aus dieser Zeit. Eine Ausnahme ist Valerie Taylor, deren Queer Pulp von The Feminist Press Anfang der 2000er-Jahre neu aufgelegt wurde.

9 Vgl. hierzu ausführlicher meine Reihe „Hartl on Highsmith“ im CrimeMag.

10 Dazu kommt, dass auch die Wiederentdeckung Schwarzer Autor*innen in der Kriminalliteratur bisher nur sehr zögerlich einsetzt.

11 Thomas Wörtche, Nachwort zu Masako Togawas Schwestern der Nacht.

12 Natürlich gibt es hier Ausnahmen, beispielsweise das leider weithin übersehende Buch Die stille Frau von A. S. A. Harrison.

Essay#7PS