Bühne mit Meerblick

 

Pega Mund                                                                                                                                 Sabina Lorenz

Bühne mit Meerblick
vorhang: geschlossen

Das kommende Unwetter färbt den Himmel gelb
wie ein Strahlenwarnzeichen. Gebrochenes Licht
durch Eiskristalle

das zischelt und wischelt und raschelt und rauscht
das ballt sich und bläht sich das wirbelt und –

schwer bläht sich der Himmel übers Dach, Marta
holt ihre Tomaten vom Balkon, saftige
Herzen im gelben Licht,

sentimentale fluchten
der tod hockt im rot
an des tages kante wimmeln maden plumpe stängel
weiße köpfchen augenknöpfchen schwarz gemalt

Am Himmel
ein Bluterguss. Eine Unruh,
sagt Marta. Wie der Traum,
einen Zahn zu verlieren.

 

Pega Mund                                                                                                                                 Sabina Lorenz

vorhang öffnet: tag

An Martas Wand hängt eine Landkarte der Stürme,
sortiert von Süd nach Nord. Die Erde
gestaltet sich um.

mild gesalzene peanuts
gestelzt über haut und knochen das plakat:
kauft wasser von nestlé

Psychotische Flüsse,

das rinnselt und schlängelt
und kräuselt und schäumt

ertrinkende Länder.

und schluckt und schluckt

Sechs Monate
unter Wasser, sechs Monate
an der Luft. Demeters Tochter im Wal.

das saust ungehemmt
und flutet und schwemmt

Und Gaia, die Mutterkuh,
wälzt sich im Schlamm, gebiert erneut
Mikroben und Insekten, Imagines
nach dem Engerling, der Puppenruh‘,
fein geflügelte Bilder ihrer Art.

wir saugen uns satt an notgeilen selfies knallen uns rosa
schirmchen aufs auge
zum glück

Oder brennende Wälder, brennende Felder,
Geschütze und Panzer kämpfen noch
um das letzte Wasserloch. Was bleibt ist
Staub. Ein Witz nach Terras Geschmack.

wir aber wählen
die schönste der seltenen erden
zu unserer
lust

Wer ist wir?
Die Huren, die Tagelöhner, die Bettler,
reden im Schlaf. Eine Unruh, sagt Marta.

gürtel enger schuhe schnüren achtung schnallen
fertig los

Jahre, Jahre unterwegs. Was treibt dich
in den Wahn von Frieden, Sattheit, Glück? Wagst
Grenzen zu überschreiten, Leben
zu erstreiten?

an der kante rotzt das meer die toten rückwärts

Ein eindringliches Geschäft.
Spaßeshalber wird einer erschossen.
Die Mädchen aufgeteilt, verkauft, was
übrig bleibt: all you can fuck

weiter – weiter

sagt Marta, reiben sich Erdplatten aneinander,
verwandeln Räume, die Erinnerung,
in Träume, in denen du
schneller läufst als die Angst. In Taschen
verstaute Leben.

und auf alle ding legt sich
der schnee des vergessens
schein und schaum
zeit zwingt den raum

Wie ließe ein Außerhalb sich denken?

die listen der moiren

sagt Marta. Sie stellt
ihre Tomaten ans Fenster
und wartet. Nebenan
wohnen Frauen mit verstümmeltem
Geschlecht. Andernorts gebären
Frauen Achttageskinder.

 

Pega Mund                                                                                                                                 Sabina Lorenz

vorhang schließt: time cold and fire and the law of pain

Was würdest du geben fürs Vergeben, würdest du
schenken, dich einschränken, was würdest du denken,
was würdest du, was?

was darf ich hoffen?

Würdest du gehen, würdest du flehen, würdest du
bleiben, würdest du andere vertreiben? Würdest du?

was kann ich wissen?

Würdest du fliehen, wohin würdest du ziehen, wo
gingest du hin, wo hätte es Sinn, was könntest du
tragen, wen würdest du fragen, was würdest du zahlen,
welchen Preis, mit was?

was soll ich tun?

Was kannst du bieten, was kannst du mieten, kannst
du anbieten, im Tausch für den Rausch eines
Ziels? Als beißendes Acryl, ein Asyl in deinem
Bild, das dich hält, das dir gefällt, es
ist frei, es ist mehrerlei, wenn du dich
assimilierst, adaptierst, kannst du das?
Kannst du?

was ist der mensch?

Wem kannst du vertrauen, wer wird es missbrauchen, wer
dich beschützen fürs eigene Nutzen, auf wen kannst du dich
stützen, wie dich schützen, wie?

 

Pega Mund                                                                                                                                 Sabina Lorenz

vorhang öffnet: nacht

is nix is n zwischenspiel is n bämm all you need is
love is licht scheffeln gegen zahnschmerzen schwarzen
schimmel stimmen jakobskreuzkraut die implosion
gegen alles was fehlt wenn der morgen dir
graut

Kannst nicht schlafen,
trink Tee nach Mitternacht, ist gut
gegen Kopfschmerzen, Bauch-
schmerzen, das Mosaik aus Schmutz
im Körper, Tragödien, Freier,
Klageweiber, die Zukunft
am Rand der Stadt, die Schulden
der Geschichte, die Geschichten
im Körper der Zukunft

über brust hals lippen steigt ein ozean
von bedeutung

Dein Körper im Raum.
Dein Körper inmitten
von Räumen. Dein Körper
inmitten von Körpern.

schwimmt die angst

fällt dein Körper in Stücke. Hier
eine Hand, dort eine Wand.
Und wo bist du?
Am Ende bleibt
ein Loch. Ein Modell
des Fehlenden.

wasser schwemmt punkt und komma weg alle
buchstaben gehen unter

Die Grenzen meiner Sprache.
Die Grenzen meiner Welt.
Wie sprechen über das, was fehlt?

an den rändern hinter den mauern den
wällen barrieren: kein land

Unerhörte Untertöne

keine zeugen

an der roten Linie. Unerwünschte
Verzerrungen im fast perfekten
weißen Rauschen. Die Überlebenden, ein
Klirrfaktor. Ihre dünnen
Erzählfäden, so leicht
zu zerpflücken, so leicht, verfangen
in einem fest geknüpften Netz, aus dem
die Wut aufsteigt wie Übelkeit.

 

vorhang: schließt

und Marta sagt:

 

*Pega Mund – arbeitet als Psychologin im heilpädagogisch-therapeutischen Bereich
mit Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien.
Schreibt/veröffentlicht seit Ende 2014 Lyrik/kurze Prosa in Literaturzeitschriften und
Antholo­gien, zuletzt in Versnetze_elf. Begegnungen, Berührungen aus dem beruf­
lichen Alltag fließen in die Schreibarbeit ein. Schreiben ist (auch) Resonanz- und
Spiegelbewegung. Im Fokus: Ver­werf­ungen, Brüche, Risse, Wunden, Narben; Kon­-
trollverluste, das Sterben, der Tod; Randzonen, Transiträume, prekäre Balancen;
Metamorphosen, Wachstumsprozesse, Heilungsmomente; Demut und Wut.
Blog: http://driftout.wordpress.com

*Sabina Lorenz – war von 2002 bis 2009 Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift
„außer.dem“ und Mitglied der Autorengruppe „Reimfrei“.
Schreibt Lyrik und Prosa und sucht immer wieder aufs Neue nach einer Sprache im
Labyrinth aus Geschichten. Texte entstehen nicht im Vakuum. Sie sind Ausdruck einer
Perspektive auf die Welt. Liebesgedichte finden im gesellschaftlichen Raum statt.
Politische Haltungen dringen in unsere Beziehungen hinein. Menschen und ihre
Persönlichkeit sind geprägt durch die Zeit, den Umstand, den Ort. Es gibt nie nur eine
Geschichte auf einmal.
Im Web: http://www.reimfrei.de
http://www.poetenladen.de/sabina-lorenz.htm

Lyrik#4PS