Geschwindigkeitsrausch
Wenn ich zurückdenke, war ich schon immer von motorisierten Fortbewegungsmitteln fasziniert, egal ob zwei-, drei- oder vierrädrig. Hauptsache, es hat genug Power und Umdrehungen, um mein Herz höher schlagen zu lassen. Der Klang einer Kawasaki Ninja oder eines 1966er Ford Mustang Shelby GT350 ist, als würde ein Löwe durch die nächtliche Stille der Savanne brüllen. Man kann die brachiale Gewalt hören und spüren, wie sie auf den Boden übertragen wird. Wenn man einem Shelby GT350 im Leerlauf das Gaspedal durchtritt, spürt man, wie noch in 20 Metern Umkreis der Asphalt vibriert; man kann es anhand kleiner Steine, die dann auf- und abhüpfen, sogar sehen.
Nach meiner ersten Fahrt auf einer Ninja bin ich am ganzen Körper zitternd abgestiegen, fast als wäre ich elektrisiert. Die Beschleunigung von null auf hundert km/h dauert nur einen Wimpernschlag; und zwei Wimpernschläge später knackt man die 200er Marke. Man fühlt sich, als würde man auf einer lenkbaren V2 abpfeifen. Jenseits der 250 km/h fängt der Horizont an, sich in einem Punkt zusammenzuziehen, links und rechts verwischt sich alles zu einem Farbbrei aus grün, grau, blau und braun, je nach Landschaftsbeschaffenheit. Es ist jedoch ein großer Kraftakt, eigentlich hält man den Gedanken nicht aus, dass jeder Kiesel, über den man rast, der letzte sein könnte.
Aber dieser rauschartige Zustand, wie es nicht einmal Rauschmittel schaffen, der wird zur Sucht.
Teilweise stieg ich sogar bei Regen auf meine Maschine, auch im Winter, wenn der Schnee schon weg war und die Sonne am Himmel stand.
Allerdings ist es so: Ich habe nie einen Helm besessen. Meine Mutter und meine Freundin haben, sobald ich die Combi anzog und ‘Tschüss’ sagte, gehofft, dass es nicht das letzte ‘Tschüss’ war. Es ist mir aber egal, was andere über das Fahren denken; was meine Familie denkt, wenn sie meine Maschine im Hof aufheulen hört und ich verschwinde. Auf der Maschine fühle ich mich frei. Ich vergesse jeden Stress, jeden Ärger, ich bin uneinholbar. Würde ich mir Gedanken darüber machen, ob ich die Fahrt überlebe oder ob meine Liebsten voller Angst zu Hause sitzen, dann stünde der Spaß nicht mehr im Vordergrund. Sollte ich auf der Maschine durch einen Unfall sterben, wird es doch dieses unendliche Glücksgefühl sein, das ich zuletzt spüre.