Endzeit
Ich stehe noch immer vor dem Schild. Ich versuche, mich zu erinnern, wie lange ich schon hier stehe, aber mir fällt es nicht ein. Zeit spielt absolut keine Rolle mehr, sie wird es nie mehr tun.
Ich starre auf das Schild, dann auf die leere Bundesstraße und wieder zurück auf dieses flache Stück Blech und versuche mich zu erinnern, wann es angefangen hat, aber auch das fällt mir nicht ein. Mein altes, schillerndes Leben könnte erst gestern beendet worden sein oder aber vor 1000 Jahren, ich kann mich nicht mehr erinnern. Die Bilder verschwimmen wie die Sicht bei einem Tauchgang ohne Tauchbrille. Die mächtigen Stadien, in denen Wochenende für Wochenende tobende Fußballfeste gefeiert wurden, die Züge, die ich mit Bildern besprüht habe, bunter als der Regenbogen, meine Zeit im Gefängnis, dann meine Wohnung. Mir ist alles Geschehene bewusst, es ist real; und doch kommt es mir unwirklich vor; als würde sich die Straße hinter mir in der Zeit auflösen. Keiner meiner Freunde und Verwandten meldet sich mehr bei mir. Ich trage die Schuld, oder wenigstens eine Mitschuld an der jetzigen Situation. Eine der wenigen Tatsachen, derer ich mir klar bewusst bin.
Bei diesem Gedanken wird mir plötzlich schlecht, und ich übergebe mich, am Straßenrand stehend, immer und immer wieder. Dann schaue ich nach vorne auf die leere Straße, beide Arme auf meine Knie gestützt, ich versuche, an etwas Schönes zu denken. Mir fällt die Katze ein, die mir im letzten Dorf miauend und mit gehobenem Schwanz entgegengekommen ist. Ich streichelte sie sehr lange. Sie schmiegte sich an mich und strich mir schnurrend um die Beine. Als ich sie hochnahm, ließ sie es einen Moment zu, um sich dann gekonnt von mir loszustrampeln, obwohl ich schon den Entschluss gefasst hatte, sie mitzunehmen. Sie stand noch kurz da, putzte sich und ging dann.
Mir kommen die Tränen, ich schaue auf das Schild und bin wieder in der Gegenwart. Selbst jetzt bin ich zu fein, mein Leben zu beenden. Noch bin ich gierig nach Sensationen und Skandalen. Auf dem Schild ist ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen abgebildet, darunter das Wort: Sperrgebiet.