Erbärmlichkeitszyklus

 

Sich selbst als Genie zu betrachten ist zwar zutiefst erbärmlich, aber meine werte Erbärmlichkeit kann nun mal besser Literatur verfassen, sie akustisch, theatralisch und schriftlich unters Volk bringen, als anderes Menschengesocks.
Trotz dieser grundlegenden Erbärmlichkeit, bedauere ich mich eigentlich nur selber, weil ich, je gravierender meine Behinderung wirkt, immer häufiger mit der unausrottbaren Dummheit von uns durch und durch erbärmlichen Menschen konfrontiert werde.
Vor kurzem wurde beispielsweise mal die Polizei, ein anderes mal die Rettung gerufen, als ich mir beim nächtlichen Ausgehen von Lokal zu Lokal nicht helfen lassen wollte. Oder eine Person hat mir neulich, natürlich unmittelbar vor Weihnachten, einen 50er gegeben, weil ich auf ihre Frage, ob sie mir eine Spende geben könne, geantwortet habe, dass ich nicht weniger als 50 € nehme.
Trotzdem kommt es mir manchmal so vor, als wäre ich nicht nur mit einer leichten sozialen Störung ausgestattet, sondern zu herkömmlichem zwischenmenschlichem Kontaktknüpfen einfach nicht in der Lage. Ich muss, so scheint es mir dann, jedes Mal der Meinung sein, aus Gesprächen einen konkreten Vorteil für mich beziehen zu können. Wenn ich das Gespräch überhaupt verstehe, was in letzter Zeit immer seltener vorkommt.
Frage: Wieso sollte ich also mein tristes Dasein fortsetzen und weiterhin vergeblich versuchen, in meinem schreibwerkstättlichen Heimatkaff einen Freundeskreis und andere zwischenmenschliche Verkorkstheiten aufzubauen?
Antwort: Weil mir dabei ja noch viel gute Literatur einfallen wird, umso mehr, je öfter ich menschlich enttäuscht werde! Aber ich sollte bei den Zwischenmenschlichkeitsanbahnungsversuchen, jedenfalls in meinem Hauptaufenthaltsort, niemals erfolgreich sein, da Erfolge im zwischenmenschlichen Beziehungswettbewerb nicht sehr förderlich für meine Kreativität wären.
Fuck! Hier und Jetzt lässt sich wieder einmal gut erkennen, dass ich erbärmliche Kreatur mein Publikum oft zu psychotherapeutischen Zwecken missbrauche. Denn wenn ich keinen konkreten Nutzen für mich in meinen Wortmeldungen zu erkennen glaube, bleibe ich lieber still und denke mir meinen Teil. Erbärmlich. Aber erbärmliche Handlungen und Gedankengänge sind ein Grundbedürfnis des Menschengeschlechts, das bei nahezu allen menschlichen Aktivitäten erkennbar ist. Indem ich mein Recht auf Erbärmlichkeit also exzessiv in Anspruch nehme, betätige ich mich zur Abwechslung mal der Norm entsprechend!

Prosa#2PS