Gedichte

Grübel.
Gr-übel.
Grr-übel.
Grrr.
Übel.

 

ich horte.
bis meine backe platzt.
bis mein kasten platzt.
bis meine browsertableiste platzt.
bis mein telefonbuch platzt.
bis mein bauch platzt.
bis mein regal platzt.
bis mein hirn platzt.
bis meine erinnerung platzt.
bis meine datenbank platzt.
bis meine hose platzt.
bis mein kühlschrank platzt.
bis mein herz platzt.
bis
ich hör nicht auf.
bis ich platz
hab.

 

Klingeln im Ohr.
Geräusche, die schmecken,
Ihren Duft verbreiten,
Meinen Kopf verkleben,
Ohne zu fragen
Sich zur höchsten Instanz erheben.

Ich nenne ihn,
Weil alles Namen haben muss,
Meinen – ur eigenen
Tinnitus.

Ttttttttinntitus
Niemensch hört ihn außer mir,
Vielleicht ists aber auch der selbe wie
bei dir.

Und meiner ist er nur,
Weil er in meinem Kopf drin singt,
Und mir permanent
Mein Denken durchdringt.
Nicht, dass ich ihn an Verszügeln halte,
Gar seine Tonlage verwalte.

Er spricht von tausendunddrei Sachen,
Die er mich zwingt zu machen.
Interesse, Blicke lenken,
Beziehschaften verwalten.
Energiequellen suchen,
Ja keine Zeit verschenken,
Ihre Planung immer schon voraus zu
denken.

Er passt mir nicht.
Er pisst mich an.

Ich probiere
Handumstände,
Kopfgerühre,
Spül Gedanken,
Knet das Hirn und
Mixe Lärmkulissen-
Elixiere.
Tinnitus
Klingeln im Ohr
Anarch-Orchester
Den Dirigenten geputscht,
Geknebelt in der Ecke liegt er,
Zuckt wurmig vor sich hin
Und ich denk,
Mir von einem alten Typen sagen –
Lassen wann ich tönen darf,
da würd auch ich eine Straftat wagen.
Tinnitus,
Er spricht in
Überfluss
Überdruss
Ideenerguss
Wasichnochallesmachenmuss
Weil ich schon gar nicht mehr weiß was.
Muss
ist
will
ist
muss.
Scháu doch mal, dórt ist da
Wieder was Neus zu sehn.
Nein aber hier auch noch
Bleib gar nicht stehn, ist ja
Dort wieder Neus zu sehn.
Kopf gepackt
Hingedreht
Wille weg
Blick versackt
Tinnitus
Stimmgewirr
Brüllt mich an.
Reimerguss
Zungenkuss
Frusterguss
Zaubernuss
Koitus
Was ich noch alles müssen muss.
Tinnitus
Versteh ihn nicht,
Seinen regellosen
Raserhythmus.
Ttttttttinntitus
Solang ich ihn nicht übertön,
Ist niemals Schluss.
Neue Versart ihm entgegenzuhalten.
Umkehrschluss
Aus Dauerschall
Im Gegenlärm
Damit ich nicht am Reiz vergeh,
Überseh, dass ich tatsächlich bin.
Tttttttttinnitus
Was ist da los,
Wenn eine solche Metapher her muss?
Soundtrack des Lebens
-wieder öde Metapher-
Den ich mir selbst pfeifen können muss.
Wenn nicht,
Dann Machts mein Tinnitus
Ttttttttttttttinnitus
Immer im Geräuschefluss.
Was hieße das,
Wenn ich mich selbst entscheiden muss
Zu hören
Auf meinen eignen Rhythmus?
Tinnititus
Impetus infinitus
Weil ich mir meine eigene Dirigentin
In Selbstverzwangung
Eingeengt.
Solange ich nicht lauter bin,
Sagt er mir wohin ich mich drehen muss.
Ene mene Tinnitus
Abra kadabra Fidibus
Wie ein Dämon,
Der mich quält,
Patriachats-nuss-luftikus.
Tinnitus
Er labt sich aus meinem Frust
Mir selbst nicht zu trauen,
Zehrt aus meiner Unsicherheit
Wer ich wirklich bin, mir anzuschaun.
Ich bin nur das, was er nicht ist.
Spiegel für seine kontrolllüsterne Gier,
Obwohl doch alles so individuell wählbar
hier.
Und dann die Idee, die kommt mir:
Vielleicht entmachten diesen Tinnitus
Hack ab ihm seinen
– Daktylus
Tinnitus
Gleich klingt er verlachend,
Seine Macht zu Boden krachend.
Tíinnitus, klíngelt im Óhr,
Wusst nicht ób ich ihn jémals verhórn werd.
Dáktylen sang er beschwíngenden Klángs,
Während ích mich still frágte:
Woher du Tinnitus kommst,
Hab ichs längst schon vergessen?
Ich will endlich spürn
Wies ist, wenn ich mich selbst ersing.
Und ich wéiß, was ich tu
Von dir weg, meine Ruh
Geb ich auf dein Diktat
Dreh sie um
Die Tontat.
Ja denn ìch werd mich wehrn,
Gegen dích, Tinnitus,
Denn mich schmerzt,
Tritt mich fest
Dein Versfuß.
Und ich weiß,
Dich gibt’s nicht
Ohne die
Gesellschaftspflicht
Aber klein
Und bei mir
Fang ich an
Was an zu drehn.

Mischpult-DIY
Pink white grey noise
Dunkel bis hell
Mehr Farben als ich kenn
Spielten Karussell
In meinem Ohr-chester.

Jetzt reichts und ich greif mit den Fingern mir ins Ohr,
Versuche zu schnappen
Was immer die Töne ersurrt.
Taste mich durch das Instrumentenknöchelchengewühl,
Erfühl irgendwann ein bewegendes Ding,
Das aufgeregt sich verschaukelt,
Zwicke fest zu und zieh es heraus.
Und erstaunt in mein Gesicht
Blick-
Ich.
Ich bin mir selbst mein eigener Tinnitus.
Bin mir selbst der lauteste Ton im Weltorchester.
Bass und erste Geige
Gleich wie Flötenzirpelei.
Ich bin mein ureigner Tinnitus.
Versteh jetzt was passiert ist:
Ein bisschen Pasquill,
Eine Versmaßmixtur,
Tinktur gegen fremde Bestimmung
Ausmirraus
Überformt
Undanmichgepresst.
Überfordert
Und Erwartet,
Selbstjustiz
Gestartet.
Ich steck mir eine Kirsche in den Mund,
Tinitus-Metaphern-gelutsche
Ich auf ihren Erbkernen rum.
Setz mich in die Ecke
Und bin still.
Und tu jetzt
Nichts –
einmal,
was ich wirklich will.
Chill in meiner
Kirschkernrevolution.
Und sing
Tttttttinnitus
Du kannst mich mal,
Ich pfeif mir ab jetzt meinen eigenen Rhymthus.

 

Veronica Lion Nichts ist unpolitisch. Diese Erkenntnis hat mich auf verschiedenen Ebenen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in meinem Leben überzeugt und definiert seither mein politisches Selbst. Das erste Lesen von Texten Heideggers, Arendts oder Nancys über das Mitsein, die feministische Erkenntnis meiner eigenen strukturellen Positionierung, das gleichzeitige Anerkennen eigener Privilegien, das Gefühl von Kollektivität bei großen politischen Aktionen in der Öffentlichkeit, das Gefühl von Solidarität, Radikalität und Allianz, von Verantwortung und Gemeinschaft: sich selbst beständig in einem Gefüge des Miteinanders ausverhandeln.

Lyrik#1PS