Gedichte
1. vision der nichtswärterin
(brücken denken)
was sie hier sehen ist eine wasserscheuche
kein grund das ufer zu bewegen der fluss kommt
zu ihr sowieso dürr und schmucklos wie ein kran
in den mond keine auch nicht die hilfsarbeiterin
greift zweimal in das gleiche fließband: alles flieht
am ende bleiben nur die regeln an die wir uns erinnern
2. vision von mir
(arbeit)
ohne worte aber täglich
lass die hülle nicht zurück
am anderen ufer steht auch kein fachmann
dem wagnis fehlt ein huf
weggabelung: da scheuts wie vor sieben spiegelscherben
auf dem grab die wilderdbeeren süßer deine hand
du kannst kommen wie dir ist: in modermode
endlich des waldes briefkästen und zweige entworren
zum vorschein kommt der gesuchte huf
kühl und dunkel wie die blauen kanten der kreuze
blattgold in ihrer mitte: die liebe höret nimmer auf
und all die eingeprägten daten auf den steinen
nicken ritterlich herüber: ja, wir trauen uns zu
eine richtigkeit die mir fehlt wenn wieder nicht
gelang was zu schreiben ich aufgebrochen war oder
wenn man die gabel rückwärts geht bleibt nur ein ende
39mai 2018 [zeig wie zärtlich kann sein]
träume von steinbruch
dem gefluteten deich am handgelenk
mein noch nachlaufender puls unwillig
drei fliegen sagen: wir sind die zarteste aller berührungen
blühende linden auf regnen den mund
wind treibt über die zerwühlte stelle
ach wie das gras mochte, wenn der wind blies
verschließ das deck das wieder zu
zumutung, ein traum
und um das ego des trabanten ein kleiner
schatten. was war geschehen?
eingefallenes gesicht, stein oder galle?
also ich turnte durchs kaufhaus,
die apotheken hatten schon geschlossen
(und zur drogerie wollte ich nicht).
als man endlich stadtauswärts lief,
die nacht nicht dunkel, licht von unten,
legte ich schief meine hand an deine
flecken. so gingen wir eine weile.
die synkopen auf der koppel – vollends
blockiert und himmlisch wars,
über uns der mars.
die enge lacht
– gummi, bedeutung, muskel: die sehnen dehnen oder das sehnen? ich fluche hinter glas; wie
das pech habe ich mich geschämt für meine tränen. im grunde ist es, was man fühlt,
unmittelbar nach jeder form von euphorie. amerikanischer film (schreiben wie
nachtaufnahmen bei tag), pechmarie (hat keinen eigenen text). ich kann das nicht einfach tun.
ahnung, wie etwas versucht, sprache zu werden. das ist zu anstrengend. als kind die angst,
jemand schnippst mir einen gummi ins gesicht. die lust in den augen einer freundin, es fast zu
tun; fast getan zu haben. spontane fassungslosigkeit, im begreifen, wie sehr ich mir zuhöre
(ach, diese göre!): ich sollte mich auskennen mit etwas verwertbarem. doch dann kommt
schon das bügeleisen.
ich biete immerzu an, also ich muss schon nah der mitte meiner geschichte sein. ganz über
mich, wenn ich ein ende mache. mein weg soll sich ankleiden. eine art von denken, das ist wie
eine lupe: nicht neues, sondern das gleiche, nur näher. und dabei eine schärfe wie von zimt. es
muss nicht passen, um zu stimmen (stimmt). ich kann neue versuche machen, weil ich
zuspruch erhalten habe.
das gedicht will ein objekt sein, welches nicht in einem beliebigen kontext abdruckbar ist,
sondern nur nach seiner eigenen art. das sprechen will nicht allein in der sprache geschehen,
sondern in die dingliche form einwirken. ich: will diese fähigkeiten. trotzdem soll es
zugänglich und reproduzierbar bleiben. reicht meine handschrift aus? für einige zeit
verwechselte ich fantasie mit liebe. das meine ich nicht herablassend. gerade mache ich brühe
und schreibe mir. das klingt vielleicht albern, aber ich wäre gern verbindlicher. in bezug auf
bewegungsfreiheit in sprache. die wäsche ist erledigt. draußen wird es langsam hell.
03juli 2020
königssee
Lektorat: Carolin Krahl