Der Debütroman … ist vorwiegend von Jüngeren geschrieben.

 

Der Debütroman ist selten das erste Schreibprodukt. Bis es zu einem Roman kommt, dem Debütroman, dauert es unterschiedlich lang. Nicht jede schriftstellerische Karriere strebt dahin. Aber wenn wir in das Abenteuer Romanschreiben eintauchen, folgt darauf das aufreibende und zuweilen ernüchternde Abenteuer, einen Verlag zu finden.

Ilse Helbich hatte einiges geschrieben. Während sie lange als Verlagskauffrau arbeitete, publizierte sie in Zeitungen und verfasste Rundfunksendungen. Ihr Debütroman erschien in ihrem 80. Lebensjahr. Dieses Alter werde ich mit meinem Debütroman nicht mehr schaffen. 80 werde ich nächstes Jahr. Ich bin nämlich Sachbuchautorin und stecke fest in dieser Schublade. Allen literarischen Essays zum Trotz.

Ich schreibe seit Jahrzehnten und kann seit den 70er Jahren regelmäßig publizieren. Und regelmäßig bedeutet vorwiegend im feministischen Magazin AUF – Eine Frauenzeitschrift, die erstmals im Herbst 1974 herauskam und bei der ich eineinhalb Jahre später einstieg. Die brauchte Autorinnen. Herausgeberinnen auch, sonst funktioniert es nicht: Die Zeitschrift geht ein, und wohin dann mit meinen Beiträgen? Die AUF bot von Anfang an und bis zum Schluss 2011 großzügig Platz für umfangreiche Beiträge der theoretischen, essayistischen und literarischen Art. So etwas gab es als feministische Zeitschrift weit und breit nicht. Erst rund zehn Jahre später erschienen weitere feministische Magazine. Das AUF-Konzept gefiel mir, und so blieb ich die folgenden 35 Jahre ihres Bestehens – als Autorin und als Mitherausgeberin. Weil uns die Zeitungsarbeit nicht genügte, gründeten wir 1992 eine Edition. Die AUFedition. Im ersten Buch schrieben 36 Autorinnen darüber, was sie über die Geschichte der Frauen Wiens herausgefunden hatten. Nun lief die Arbeit mit zwei Printmedien weiter. Buch auf Buch erschien – und Verlage griffen zu, besonders der Mandelbaum Verlag. Das war praktisch, denn für den Vertrieb braucht es verdammt viel Zeit. Und welche Frau hat die schon? Vollzeitarbeit, Kinder aufziehen oder kleinen Jobs nachjagen, möglichst zwei, drei gleichzeitig, weil es sich von einem nicht leben lässt. Diese Jobs heißen Projekte, ein Name, der etwas wie Selbstbestimmung vortäuscht. Der Zustand heißt Prekariat. Schöne Worte für einen Drahtseilakt ohne Sicherheitsnetz.

Denn – hab ich schon gesagt, dass das alles im Ehrenamt geschehen musste? Ehre wem Ehre gebührt klingt schön – aber Geld gebührt auch. Nur: Da war keins. Für Geld also – siehe oben – anderswo arbeiten und daneben schreiben, soviel wie möglich. Meine Bücher über die großartigsten Frauen kamen raus. Und dann entstand der Debütroman. Nach sieben Jahren Recherche. Eine tolle Story über eine Verwandte vor zwei Generationen. Eine Suche nach den Ursachen und Wegen ihres unglücklichen Lebens, eine Suche nach Wurzeln, die in ein glückliches Leben mündeten.

Ruth Klüger, die hochverehrte, hat ihn gelesen und gesagt: „Ich schreib Dir ein Vorwort. Schick es meiner Agentin.“ Die rief mich paar Tage später an: „Es ist brillant.“ – „Wie? Ich hab nicht gut verstanden?“ – „Brillant.

Ein Jahr später gab sie auf: „Ich kann es nur großen Verlagen anbieten, die kennen Sie aber nicht. Das heißt, sie kennen Sie nur als Sachbuchautorin, das ist denen zu riskant.“

Ruth Klüger empfahl es ihrem österreichischen Verleger. In seinem Büro saß sie ihm gegenüber, auf dem Tisch dazwischen mein Manuskript. „Das ist eine Sachbuchautorin, wer würde es kaufen? Die 700 österreichischen Feministinnen?“

Der Wunsch Ruths, ihm mit einer schallenden Ohrfeige zu antworten, war groß, aber der Abstand zwischen den beiden Fauteuils war größer.

Wie steige ich in die Romanliga auf? Ich schreibe Sachbücher über zu wenig oder gar nicht gewürdigte, vergessene Frauen, deren Werk nicht mehr herausgegeben wird – obwohl wir ihre Texte dringend nötig hätten. Und dann fand ich die große Revolutionärin der Pariser Commune Louise Michel. „Wer ist denn das?!“ riefen (fast) alle. „Hurra, die wollen wir kennenlernen!“ Und dann stellte ich fest, dass ich ihr in einem Sachbuch nicht gerecht werden konnte. Sie musste ihre Geschichte selbst erzählen. Und, voilà: bahoe books, der anarchistische Wiener Verlag, traute sich. Mein erster veröffentlichter Roman war da – und ich erst 77.

Aber war das der Debütroman? Sie erinnern sich – das war er: nicht.

Epilog

Feministinnen sichten meinen Nachlass. Es ist Arbeit. Praktikantinnen wühlen unbezahlt in den Manuskripten, Entwürfen, Arbeitsverläufen, Korrespondenzen. Eine nach der anderen darf die ehrenvolle Aufgabe übernehmen. Ehrenamtlich. Eines Tages wird es gefunden, das Manuskript. Mein Debütroman.
– Unglaublich. Was für eine Entdeckung! Und dafür hat sich kein Verlag gefunden? Eine Schande!

Mein Debütroman erscheint posthum.

 

Lektorat: Yael Inokai und Eva Schörkhuber

Essay#6PS