Am Bahnhof
MANN [erstaunt]: Du?
FRAU [erstaunt]: Du? Ja, ich.
MANN: Was machst du hier?
FRAU: Hatte etwas zu erledigen. Und du?
MANN: Ich bin seit einer ganzen Weile hier.
FRAU: … Immer noch?
MANN: Immer noch.
FRAU: Warum?
MANN: Du weißt es.
FRAU: Nein, ich weiß es nicht.
MANN: Nach deinem Weggang blieb ich stehen.
FRAU: Warum?
MANN: Du weißt es.
FRAU: Nein, ich weiß es nicht.
MANN: Vielleicht hast du es vergessen.
FRAU: Was?
MANN: Die Zeit. Die Zeit, die du mit mir verbrachtest.
FRAU: Ach so. Ja, ich erinnere mich. Hatte es wohl vergessen.
MANN: Wie kannst du all das vergessen?
FRAU: Ich kann es vergessen, da alles, was stehenbleibt, einen üblen Geruch entwickelt.
MANN: Einen üblen Geruch?
FRAU: Ja, einen üblen Geruch.
MANN: Was ist das für ein Vergleich?
FRAU: Denk nach …
MANN: Ich habe viel nachgedacht. Es war etwas Gewöhnliches.
FRAU: Etwas Gewöhnliches? Die Denkweise hat sich also immer noch nicht gewandelt.
MANN: Die Denkweise? Du warst schuld. Du hättest verstehen sollen. Es war eine Sache der Zeit. Hättest es vergessen können.
FRAU Ich hätte es vergessen sollen. Du hast recht. Egal.
MANN: Nein, recht hast du. Deine Angewohnheit, Herzen zu zerschmettern und mit ihnen zu spielen, ist noch da.
FRAU: Was machst du zur Zeit?
MANN: Nichts, gar nichts. Nur warten.
FRAU: Warten? Auf was?
MANN: Vielleicht auf diese Zeit. Auf dich.
FRAU: Auf mich? Das ist Zeitverschwendung.
MANN: Nein, mir hat es genutzt. Letztendlich fand ich dich nun wieder.
FRAU: Es ist deine Vorstellung. Befreie dich aus ihr.
MANN: Wie meinst du das? Gibt es keinen Platz mehr für mich?
FRAU: Richtig. Keinen Platz.
MANN: Warum?
FRAU: Egal. Sag, wann kommt der Zug? Alles hat sich verändert.
MANN: Arbeitest du jetzt?
FRAU: Ja. Deshalb bin ich unterwegs. Wollte hier nur umsteigen.
MANN: Was für eine Arbeit?
FRAU [lachend]: Meine Arbeit? Das Spiel mit den Herzen.
MANN [erstaunt]: Hast dich nicht verändert. Deshalb auch keinen Platz für mich in deinem Herzen.
FRAU: Ja, genau so ist es.
MANN: Wie viele Herzen hast du nun schon nach einer Spielerei verlassen?
FRAU [lachend]: Sehr viele Herzen, aber keines verlassen. Die Liebe ist weiter gewachsen.
MANN: Unglaublich. Du bist unfassbar.
FRAU: Ja, bin auch jetzt auf dem Weg zu einem Herzen. Möchtest du mitkommen?
MANN [überdrüssig]: Nein, auch ich habe Würde.
FRAU: Sicherlich … Nur du hast Würde. Der Zug kommt in zehn Minuten, ich gehe dann mal.
MANN: Was machst du noch, außer mit Herzen zu spielen?
FRAU: Nichts. Die ganze Zeit vergeht darin.
MANN: Spaß beiseite. Sei ehrlich, was machst du?
FRAU: Wirst du es hören können?
MANN: Ja, wieso nicht.
FRAU: Das Spiel mit traurigen und kranken, hoffnungslosen Herzen. Ich erhalte dafür viel Liebe.
MANN: Was? Wieso hast du mir das nicht früher erzählt?
FRAU: Weil du immer noch dort stehengeblieben bist.
MANN: Traurig, sehr traurig.
FRAU: Worüber?
MANN: Über meine Denkweise. Wie sehr habe ich dich doch verurteilt.
FRAU: Egal, alte Sache.
MANN: Darf ich dich etwas fragen? Gibt es nun einen Platz für mich in deinem Herzen?
FRAU: Nein, ganz und gar nicht. Es ist nun Stau darin.
MANN: Soll ich die Hoffnung aufgeben?
FRAU: Ja. Siehst du die Schienen? Die eine geht in eine Richtung, die andere kommt aus der anderen. Aber sie treffen sich nie. Du und ich, wir sind genauso.
MANN: Ich werde mich ändern. Jetzt denke ich, dass es meine Schuld war.
FRAU: Unmöglich.
MANN: Ich werde es versuchen. Prüfe mich.
FRAU [ihn direkt ansehend]: Lobenswert. Versuch es.
MANN: Danke, du bist gut zu mir.
FRAU: Danke – wofür?
MANN: Du hast mir wieder einen Platz in deinem Herzen gegeben.
FRAU: Falsch. Ich habe nur einen Rat gegeben.
MANN: Hör mir zu, sag so etwas nicht. Ich werde sterben. Bitte.
FRAU: Wirst du nicht. Bist noch am Leben. Früher ohne, nun mit einem Ziel.
MANN: Recht hast du. Mit einem Ziel. Soll ich mit dir kommen?
FRAU: Nicht notwendig.
MANN: Bitte sage so etwas nicht.
FRAU: Ich gehe. Hoffe, dass ich ein gewandeltes Dich kennenlerne, falls man sich wieder begegnet.
MANN [verzweifelt]: Ich habe mich gewandelt. Warte, warte.
Der Zug fährt ein.
Lektorat: Yael Inokai und Olivia Golde