tage voller verlangen

 

er flüstert.
er ist ja nicht anwesend, nur ein flüchtling.
die gastgeberin passt sich der lautstärke an.
auf diesem engen raum könnten sie alles zerstören – das ahnen sie.
und sie ergreifen eine maßnahme:
keine berührung.
vielleicht später, irgendwann, wenn alles vorbei ist.
für diese zeit hat sie bereits bilder im kopf und hofft, er trage auch welche in sich.
sie schläft in ihrem bett.
er vor dem schlafzimmer, im gang, vor der tür – als wäre er der beschützer.
morgens wacht sie auf, geht zur tür, öffnet sie und berührt seine hand.
der mann sieht an ihren beinen entlang, ihr ausgestrecktem arm zeigt auf das bett.
„dort liegt meine wärme für dich“, wie gern hätte sie einmal diesen satz ausgesprochen.
er gehorcht und schlurft dorthin.
sie schaltet das radio ein, hört nachrichten, frühstückt, achtet auf ihre geräusche, zieht sich an und geht zur arbeit.
später steht er auf, geht leise in die küche, schlürft den tee und isst das knäckebrot; das hat sie neben die tasse gelegt.
dann zum fenster, hinter dem vorhang ein blick in die stadt –
ihr ist er entkommen.
er setzt sich ins schlafzimmer, lehnt sich an die wand, ohne geräusche.
ihm fehlt das wort, das ihn fortträgt.
er bleibt dort sitzen, bis sie nach hause kommt und sofort das radio anmacht –
jetzt flüstert sie.
sie bringt die fama der straße.
„selbst vor unserem haus steht ein soldat.“
erst möge sie ihm von der tür erzählen, bittet er.
„eisentür, schwer, zwei flügel.“
dann fällt ihr ein, dass er durch die hintertür eingedrungen war.
an dem tag wurde in der stadt getrommelt und verfügt, frauen hätten sich nackt ins bett zu legen und die augen mit einem schwarzen tuch zu bedecken. männer hätten sich vor ihren türen aufzustellen.
als die sperre aufgehoben war, und sie das haus verlassen wollte – da traf sie ihn im treppengang.
er legte den finger auf den mund, sie starrte.
dann öffnete sie die handtasche und nahm den schlüssel heraus, er folgte.
jetzt kehrt sie zurück zu der eisentür, zu dem soldaten, zu seinem bajonett.
am tisch, die köpfe nah beieinander, flüstern sie.
seine frau habe er schon vorher ins ausland geschickt, sagt er.
sie erzählt, einmal im jahr besuche sie ihre familie in der provinz.
„aber dieses jahr…“
wieder flüstert er von seiner frau.
„er ist nicht einer, der betrügt“, denkt sie.
abends flüstert er viel, wenn das radio läuft, und lässt seiner gastgeberin wenig platz.
„sonntags treffe ich mich mit meinen kolleginnen.“
er reagiert nicht.
„du hast gesagt, ich müsse meine gewohnheiten…“
er nickt.
sie sucht etwas besonderes aus: einen kurzen rock für die weite bluse. vor dem spiegel betrachtet sie sich, rückt den rock zurecht, dreht sich um und trifft auf seinen blick.
„nimmst du mich so mit?“, beinah hätte sie es ausgesprochen.
sie verlässt die wohnung.
auf der straße ist sie stark und besiegt jeden feind.
„einmal gehen wir am fluss spazieren“, sie lächelt und wischt die soldaten fort.
„ich ziehe ein enges kleid an. ich lehne mich mit dem rücken an einen baum. ich schabe mich daran wie ein jungtier“, sie kommt sich albern vor, will aber das bild zu ende denken.
„dort, am baum, hebe ich die arme und frage gerade heraus, ob ich dir gefalle.“
sie denkt an ihre freundinnen; wie gerne hätte sie von ihm erzählt.
„nein, ich mache es anders. ich gehe mit meinem kleid in den fluss, bis er aufschreit“, sie bleibt stehen mitten auf dem trottoir.
„mit nassem kleid steige ich aus dem wasser und komme auf ihn zu.“
sie beschleunigt die schritte, sie will ihre freundinnen nicht warten lassen.
„das sind dinge, die man erst viel später sieht“, sagt sie zu sich und freut sich.

 

Lektorat: kaśka bryla, Olivia Golde, Carolin Krahl

Prosa#5PS