PS#4
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KÜCHENGESPRÄCHE

Ein Drehbuch & Editorial
von Kaśka Bryla, Jiaspa Fenzl, Olivia Golde, Carolin Krahl, Sabine Scholl, Sasha Marianna Salzmann, Lena Vöcklinghaus & Yael Inokai

1. Fassung

1 INNEN, TREPPENHAUS UM 1900 – ABEND
Bestrumpfte Füße eilen eine Treppe hoch. Die FRAU (42) trägt Lackschuhe und ein langes, schwarzes Kleid, das sie mit den Händen hochziehen muss, um nicht darüber zu stolpern.

CAROLIN (OFF)
Herzlich willkommen zum PS-Küchenge- spräch. Warum wir hier sind? Es geht darum… der Raum hat Geschichte. Frauen konnten sich dort treffen und aufhalten, weil niemand etwas dagegen hatte.

Die Frau stößt eine Tür auf und steht in der Küche.

2 INNEN, KÜCHE UM 1900 – ABEND
Es ist dunkel. Die Frau zündet mit einem Streichholz die Kerzen im Ständer an. Sie stellt den Ständer ins Fenster. Sie hört ein Klopfen, dreht sich um. Eine FRAU MIT KORB (56) kommt herein. Die beiden nicken sich zu. Die Frau mit Korb nimmt Kartoffeln heraus, legt sie auf den Tisch. Irgendwann kommen unter dem Gemüse Stift und Papier zum Vorschein. Die Frau derweil streift mit ihren Händen über die Arbeitsplatte, die aufgehängten Töpfe, gedankenverloren, während sie schaut, wie Stift und Papier auf den Tisch gelegt werden.

CAROLIN (OFF)
Es ist ein Raum, der das Private impliziert und in dem das Politische immer schon drinsteckt.

Die Kamera schwenkt von den beiden weg, im gegenüberliegenden Haus steht auch ein Kerzenständer im Fenster.

TITEL: KÜCHENGESPRÄCHE, 1: ME AND MY PEN

3 INNEN, KÜCHE HEUTE – ABEND
Sieben Personen sitzen um einen Tisch. SASHA, KAŚKA, CAROLIN, OLIVIA, JIASPA, SABINE & LENA. Aschenbecher, Kaffeetassen. Es dampft – Tee – und raucht – Zigaretten.

KAŚKA
Und die Küche muss wieder zum Politischen vermittelt werden und politisch sein. Fangen wir mit unserem Beirat an. Sabine: Was ist für dich Identität, als Schriftstellerin, als Frau, in diesem Literaturbetrieb?

SABINE
Meistens hat man ja mehrere Rollen. Ich würde das Rollen nennen. Eine Frau zu sein ist ein entscheidender Faktor, weil: Größtenteils bin ich auf Männer getroffen, die einem sagen, was geht, in Zeitschriften, in Gremien, in Jurys.

CUT TO:

4 INNEN, KÜCHE UM 1900 – ABEND
Die beiden Frauen schreiben. Ein Blick auf ihre Ringfinger verrät, dass eine von beiden verheiratet ist.

SABINE (OFF)
Und dann gibt es die Identität als Mutter. Von der einen Seite kamen Zweifel, ob ich als Mutter, zumal alleinerziehend, noch eine gute Schriftstellerin sein kann, und von der anderen Seite kamen Zweifel, ob ich als Schriftstellerin eine gute Mutter sein kann.

CUT TO:

5 INNEN, SCHLAFZIMMER UM 1900 – TAG
Die Frau wird von einem Männerarm gepackt und Zimmer geschoben. Nicht grob, aber bestimmend.

CUT TO:

6 INNEN, KÜCHE HEUTE – TAG
Die Kamera geht einmal die Runde lang, zeigt jedes Gesicht in Großaufnahme.

SASHA
Klar, wenn wir über Alter und Weiblichkeit sprechen im Kulturbetrieb, im Literaturbetrieb, reden wir über Misogynie und die Vorurteile gegenüber älter werdenden Körpern. Ab einem gewissen Alter bist du raus, so wird das postuliert. Aber es ist auch einfach irre, was es bedeutet, das Label „junge Frau“ zu tragen, das ist einfach –

CUT TO:

7 INNEN, KÜCHE UM 1900 – ABEND
Ein Fleischstück wird auf den Tisch geknallt.

CUT TO:

8 INNEN, KÜCHE HEUTE – TAG Konsterniertes Schweigen.

JIASPA
Wir haben keine Zeit für diesen Beef! Wir MÜSSEN zusammenhalten. Es gibt verschiedene Formen, etwas für den Widerstand zu tun. Man darf sich nur nicht gegeneinander ausspielen lassen.

SABINE
Das ist das Wichtigste.

Jiaspa steht auf, macht Kaffee. Als die Kamera Jiaspa folgt, verändert sich der vermeintliche Innenraum. Fenster und Decken beginnen sich aufzulösen und geben den Himmel frei. Nach und nach wird der Wagenplatz sichtbar, auf dem sich das Küchengespräch zuträgt. Die Insel – Küchentisch, Stühle, Akteur*innen – bleibt die gleiche.

9 INNEN, FESTSAAL – TAG
Ein voll besetzter Festsaal. Lena steht auf der Bühne und hält einen Pokal in der Hand.

LENA
Ich habe mir gesagt: Das ist ein ganz einsamer Beruf und ich werde jetzt einfach ganzgroßartigundichbraucheniemanden, nur mich und meinen Füller, und deshalb möchte ich hiermit mir selbst danken, ohne die ich das nie geschafft hätte –

10 AUSSEN, WAGENPLATZ – TAG
Alle lachen. Lena zuckt mit den Schultern.

LENA
Irgendwie ist das ein weiter Weg, bis man kapiert: So läuft das nicht.

SASHA
Ja, genau. Meine Ungeduld ist mein Problem. Man muss hartnäckig bleiben, aber wahrscheinlich wird man die Ergebnisse selbst nicht mehr erleben.

11 INNEN, KÜCHE UM 1900 – ABEND
Die Frau sieht auf, schaut aus dem Fenster, wendet sich der Kamera zu und blickt direkt hinein. Fleisch liegt in Stücke geschnitten auf dem Tisch, daneben beschriebenes Papier. Die Kamera schwenkt zum gegenüberliegenden Fenster, wo der Kerzenständer steht, verlässt die Küche über den Innenhof, wo überall Wäsche auf Seilen hängt, hinein in das Fenster und landet in –

12 INNEN, FESTSAAL – ABEND
Ein Anlass mit schicker Kleidung, offiziell, steif. Eine Frau und ein Mann sind von hinten zu sehen. Er redet und redet und redet.

SABINE (OFF)
Na klar, die wollen mit dir schlafen, Sabine, das ist doch selbstverständlich, damit musst du rechnen…

SASHA (OFF)
Der reibt sich nicht an dir, der fasst dich nicht an, aber du merkst, das ist ein sexueller Akt, dass er dich volllabert, dass er dich bespucken kann mit seiner Meinung…

Kleine Spucketröpfchen fliegen in Zeitlupe durch die Luft und landen im Gesicht der Frau. Sie zückt ein Feuerzeug, zündet damit eine Kerze an, die neben ihr auf einem Tisch steht.

CUT TO:

13 AUSSEN, WAGENPLATZ – TAG
Der Kaffee gurgelt und spritzt.

DIE STIMME DES LITERATUR- BETRIEBS HINTER DER MAUER (OFF)
Tut mir leid, bei uns geht es nicht um Geschlecht oder Hautfarbe, sondern ausschließlich um literarische Qualität.

SASHA
Mit der gleichen Argumentation haben sie schon immer Frauen rausgehievt.

DIE STIMME DES LITERATUR- BETRIEBS HINTER DER MAUER (OFF)
Ich würde so gerne Frauen fördern, wenn die einmal einen richtig, also wirklich so richtig guten Text geschrieben hätten, hätte ich sie –

Alle lachen

SABINE
Sie hinterfragen ja nicht ihre Kriterien, nach denen sie dann die sogenannte Qualität beurteilen.

SASHA
Desintegration bedeutet, ich habe ganz andere Machtstrukturen. Du als Zentrum kannst dich auflösen wie eine Brausetablette. Man braucht Bündnisse, die über Geschlecht und Partikularkampf hinausgehen, man –

DIE STIMME DES LITERATUR- BETRIEBS HINTER DER MAUER (OFF)
Wir haben Ijoma Mangold, insofern haben wir kein Problem.

Jiaspa springt auf, öffnet das Tor, geht hinaus, sieht sich um, die Stimme zischt in den Gulli.

SASHA
Wisst ihr, was mich müde macht? Du denkst, wir sind doch eine Generation, wir müssen zusammen Revolution machen. Und dann sitzt du da und denkst, oh, das habe ich schon bei Audre Lorde und James Baldwin gelesen, das ist so alt, dieser Kampf…

TITEL: KÜCHENGESPRÄCHE, 2: WIDERSTAND

14 INNEN, KÜCHE HEUTE – FRÜHER ABEND
Die sieben sitzen im Dämmerlicht, wieder drinnen, in der Küche. Die Kamera geht im Kreis, zeigt die jeweils sprechende Person in Großaufnahme.

KAŚKA
Es gibt diesen Film: Küchengespräche mit Rebellinnen, wo es um Frauen geht, die im Zweiten Weltkrieg Widerstand geleistet haben, indem sie Leute versteckt haben, Leute rausgeschmuggelt haben. Es ist klar, dass wir auf einer ganz anderen Ebene hier Widerstand verhandeln. Aber trotzdem würde ich gern auf diesen Aspekt der Geschichte, der Geschichtsweiterschreibung eingehen wollen. In dem System, in dem wir leben, in dem die faschistoiden Tendenzen ja auch stetig zunehmen, was bedeutet im Schreiben, Kunstschaffen und im Aktivismus Widerstand für uns?

LENA
Als Erstes musste ich drüber nachdenken, in welchen Situationen handle ich rassistisch oder sexistisch, weil ich eben aus einem System komme, in dem das mitgetragen wird. Für mich hat Widerstand in erster Linie damit zu tun, diese Situationen zu erkennen und zu lernen, darin zu handeln. Ich hab dieses Wort lang abgelehnt, ich dachte, ich muss…

CUT TO:

15 INNEN, HAUSFLUR – TAG
Jemand schnürt schwere Stiefel, zieht eine schwarze Lederjacke über, ballt die Fäuste.

CUT TO:

16 INNEN, KÜCHE HEUTE – FRÜHER ABEND

JIASPA
Es gibt da zum Beispiel prozess.report. Da setzen sich Leute in bestimmte Gerichtsprozesse und schreiben darüber. Das ist keine literarische Arbeit im engeren Sinne, aber es ist widerständiges Schreiben.

KAŚKA
Was kann ich als Autorin für Widerstand leisten, wenn ich finde, so ganz platt: Da ertrinken Menschen, da brauch ich auch nicht… Also das sind so Sachen, die sich bei mir irgendwie sträuben und wahrscheinlich einfach Widersprüche sind, die da sind, die man nie ganz auflösen kann. Aber es ist mir wichtig, eine Annäherung zu finden für eine Auflösung oder für ein Miteinander, dass das nicht so weit auseinanderklafft.

SASHA
Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, Künstler_in und Aktivist_in. Es muss beides geben können.

CAROLIN
Es ist möglich, Schriftstellerin und Aktivistin zu sein, mal das und mal das, und abzuwägen, was gerade wichtig ist. Und es muss auch möglich sein, beides zu verbinden. In der Gegenwart ist das ziemlich verpönt. Da heißt es, man unterstelle die Kunst einem Zweck. Die Autonomie der Kunst sei in Gefahr. Dabei ist doch eher die Frage: Wie genau mache ich das formal? Die stellt sich ja immer, sobald ich versuche, was zu transportieren. Was ist eine adäquate Form?

KAŚKA
Wir versuchen mit PS, eine Brücke zu schlagen zwischen diesen Szenen, also zwischen einer Kulturszene und einer aktivistischen Szene.

OLIVIA
Man kann das kritisch sehen, aber eine feministische Zeitschrift braucht eine ISSN, sonst wirst du sie in zwanzig Jahren nicht mehr finden. Damit etwas, wenn es seine Sternchenstunden hatte, nicht untergeht, sondern bleibt, muss es in die Institutionen übergehen. Und wir sitzen aber hier, größtenteils zumindest, als Autor*innen. Und ich denke, das ist auch irgendwie die Erfahrung, die ich mit der PS#4 jetzt gemacht habe, wo Gespräche mit Sandra Uschtrin und Julietta Fix erscheinen werden: Welche Bedeutung diese Strukturarbeit hat, die im Hintergrund stattfindet oder im Schatten gemacht wird, ohne dass du dafür Preise bekommst. Es ist so viel Büroarbeit – dass du Autorin bist, wird dabei oft vergessen. Das ist natürlich nicht charmant, und deswegen wollen wir mit Fug und Recht Autorinnen sein. Aber ich bin in einem Maße beeindruckt davon, wie sich Sandra Uschtrin zum Beispiel oder Julietta Fix für diese Arbeit entschieden haben. Ich merke, dass das eine Form von in die Zukunft gerichtetem widerständigen Verhalten ist, sich für diese Arbeit zu entscheiden, so dass das, was jetzt geschieht, nicht einfach nur geschieht, sondern bleibt. Und deshalb denke ich, vielleicht will ich gar nicht mit meinem ersten Buch weltberühmt werden, sondern…

CUT TO:

17 INNEN, KONZERTSAAL – ABEND
Olivia lässt sich durch die Menge treiben. Mit glühenden Augen schaut sie in Richtung Bühne, wo – für uns unsichtbar – eine Frau Cello spielt.

CUT TO:

18 INNEN, KÜCHE HEUTE – FRÜHER ABEND

OLIVIA
Ich könnte einfach dafür arbeiten, dass andere Blickwinkel, die ich unglaublich finde, ihren Raum bekommen. Aber es ist halt…

SABINE
Schon ein Kompromiss.

19 INNEN, KÜCHE UM 1900 – ABEND
Die Frau hat mittlerweile einen ganzen Stapel Papier beschrieben. Sie sieht in die Kamera.

FRAU
Eine Ehefrauenposition.

20 INNEN, KONZERTSAAL – ABEND
Olivia steht nun am Bühnenrand.

KAŚKA
Don’t love the guitarist.

Olivia sieht auf die Bühne, wo sie selbst steht und spielt.

KAŚKA
Be the guitarist.

OLIVIA
Or the cellist.

21 INNEN, KÜCHE HEUTE – FRÜHER ABEND

SABINE
Sich auszutauschen und andere zu finden, die das ähnlich machen, ist schon Widerstand. Das sind alles Schritte. Und je nachdem was, wogegen der Widerstand ist, danach richtet sich dann auch, wie man sich organisiert. Ich finde, schon allein, dass wir uns hier treffen, das ist für mich auch schon ein Widerstand gegen das, was jetzt im allgemeinen Betrieb stattfindet. Jeder spürt, jetzt ist die Situation auch politisch einfach schwierig. Wie kann ich als Autorin darauf reagieren. Die Frauen in dem Film waren weniger bei einer Partei oder Organisation, es waren ja auch nicht gebildete Frauen, ganz einfache, die von sich aus beschlossen haben: Nee, das kann nicht sein, so geht das einfach nicht. Und das, glaub ich, ist der Kern dessen, was ich als Widerstand empfinde, und alles andere kann sich dann daraus entwickeln.

Es ist inzwischen sehr dunkel geworden in der Küche. Sabine nimmt ein Feuerzeug, hebt den Kerzenständer vom Regal und zündet ihn an.

SASHA
Ich glaube, dass widerständig sein für mich zuerst eine Strukturanalyse bedeutet, immer, zu analysieren: Was passiert hier eigentlich? Als was werde ich gerade gelesen, eingekauft, benutzt? Für wen spreche ich, ohne es zu wollen? Was passiert? Ich mach das vielleicht an einem konkreten Beispiel, weil Max Czollek und ich diesen Desintegrationskongress ja ausgerufen haben mit einer bestimmten jüdischen Perspektive, wo klar war: Die Juden sind die guten Anderen; wir sind das, was die deutsche Gesellschaft möchte; wir sind die gebildeten Anderen, die süß aussehenden, weißen Anderen, etc. Und sie brauchen uns für ihre Identität. Und da gibt es wirklich ein ganz klares Ihr und Wir, egal wie wir versuchen, dem zu entkommen. Und wie geht man da raus? Das bedeutet eine wahnsinnige Abgabe von Privilegien. Was bedeutet das für Förderungsstrukturen, bei wem beantragst du dein Geld und mit welchen Mitteln? Indem man diesem Machtbild nicht mehr so zuspielt, entspannt man sich und sieht, wie viele auch nicht mitmachen. Also: Ach so, wir brauchen euch gar nicht! Und wir waren ausverkauft. Weil wir anders fokussiert haben, und ich glaube, das war sehr darauf bedacht, zu sagen, es ist kein jüdischer Ansatz, sondern es geht darum, grundsätzlich aus dem Label, als das man eingekauft wird, das man aber nicht sein möchte, auszusteigen.

Carolin hält die Hand vor den Kerzenständer.

CAROLIN
Ist ganz schön hell.

Olivia nickt, nimmt den Kerzenständer, trägt ihn zum Fenster, wo sie ihn reinstellt. Sie blickt über die Häuser, sieht in anderen Fenstern erleuchtete Kerzenständer.


TO BE CONTINUED.