Love Literature – Hate the Industry
Expositionen
I. Was ist ein Debüt?
Debüt, das
Wortart: Substantiv, Neutrum
Worttrennung: De | büt
Bedeutungen (2):
a) erstes [öffentliches] Auftreten eines Künstlers, eines Sportlers o. Ä.
Beispiele
sein Debüt als Schriftsteller war ein großer Erfolg
die junge Sängerin gab ihr Debüt
der Regisseur lieferte mit dieser Inszenierung sein Debüt (stellte erstmals eine eigene Arbeit vor)
b) erste Vorstellung bei Hofe
Gebrauch: früher
Synonyme zu Debüt: Erstauftritt; (Sport) Einstand
Herkunft: französisch début = Anspiel, Anfang, aus der Fügung: jouer de but = auf das Ziel hin spielen
Duden online, eingesehen am 07.07.2020
Als literarische Debüts werden gemeinhin die ersten selbstständigen Publikationen von Autor*innen betrachtet:i Beiträgen in Zeitschriften und Anthologien folgt, so eine ihren Weg als Schriftstellerin tatsächlich beginnen und als ernstzunehmende Akteurin in das Spiel literarischer Betriebsamkeiten einsteigen möchte, die Suche nach einer Agentur oder einem Verlag. So einfach die Definition Debüt = erstes Buch anmutet, so kompliziert gestaltet sich de facto der Gebrauch des Ausdrucks Debüt. Es werden, wie die Essays von Eva Geber, Sabine Scholl und Lena Vöcklinghaus in dieser PS zeigen, bei Weitem nicht immer die ersten Bücher von Autor*innen als Debüts positioniert. Diese Positionierung – das zeigt sich auch bei Debüt-Preis-Ausschreibungen sowie in der literaturkritischen Wahrnehmung – ist im deutschsprachigen Raum vorwiegend Langprosaformen, also: Romanen vorbehalten. Im Sachwörterbuch der Literatur findet sich außerdem ein weiterer Aspekt des Debüts ausformuliert: „Debüt […]; in der Lit. das Erstlingswerk eines jungen Autors (Zeitschriftenbeitrag oder Buch).“ii Hier wird zwar auch eine unselbstständige Publikation als „Erstlingswerk“ zugelassen, dafür aber werden Geschlecht und Alter selbstverständlich vorausgesetzt: Jung und männlich ist der Debütant und in jedem Falle vielversprechend.
Angesichts der Divergenz zwischen Definition und Gebrauch des Ausdrucks Debüt lohnt es sich, das Debüt noch einmal beim Wort zu nehmen und hinter die Kulissen vermeintlicher Selbstverständlichkeiten zu blicken: Wenn es sich beim Debüt um a) „das erste [öffentliche] Auftreten“ von Künstler*innen handelt, stellen sich die Fragen: a1) Welcher Auftritt als Eintritt in ein künstlerisches Feld gewertet wird, und a2) welche Art der Öffentlichkeit dazu angetan ist, das Debüt als solches zu legitimieren. In dieser Hinsicht gibt die zweite, veraltete Bedeutung näheren Aufschluss: b) „erste Vorstellung bei Hofe“. Es handelt sich also um eine bestimmte Form von Öffentlichkeit, in der das Debüt stattfindet. Nicht bei jeder Lesung werden Debütant*innen gekürt und ausgezeichnet, nicht jeder Text, der publiziert wird, wird als Debüt anerkannt. Es gibt bestimmte Voraussetzungen, die den Zutritt zum literarischen Feld, den ersten Antritt als Schriftsteller*in reglementieren. Diese Spielregeln konstituieren ein System von Anerkennung, in welchem die Akteur*innen verschiedene Positionen einnehmen. Die Bereitschaft, in dieses Spiel zu investieren, generiert eine illusio, eine Art von stillschweigendem Einverständnis, dieses Spiel auf diese Art und Weise zu spielen. Insofern gibt die Herkunft des Ausdrucks Debüt weiteren Aufschluss: „jouer de but – auf das Ziel hin spielen“, wofür eine legitimierte Teilnahme, ein beglaubigter Eintritt in das Spiel, Voraussetzung ist.
Ein literarisches Debüt weckt Erwartungen auf einen siegreichen, einen erfolgreichen Verlauf: Wetten werden abgeschlossen, wie es Christine Koschmieder treffend beschreibt, es wird spekuliert, prognostiziert, unter gewissen Umständen auch revidiert.
Nicht der Weg hin zu jener Veröffentlichung, die als Debüt positioniert wird, ist das Ziel, sondern der erfolgreiche Eintritt ins literarische Feld, wie Carolin Krahl in ihrem Essay ausführt, in dem sie sich prinzipiell mit den Möglichkeiten und Grenzen beschäftigt, diese Mechanismen zu umgehen.
Die Maßstäbe, die herangezogen werden, um abzuschätzen, wie vielversprechend Debüt-Autor*innen sind, variieren je nach Position im literarischen Feld und haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Ende des 19. Jahrhunderts betrachtet Emil Franzos das Debüt als „bezeichnend für des Dichters Wesen“ und als „Schlüssel zu seinem Schaffen“, denn: „Später giebt man das Erfahrene und Erlebte und Erlernte mit dazu, im ersten Buch giebt das Talent zumeist sich selbst.“iii In diesem Sinne liegt das Ziel, auf das hin gespielt wird, in der Entfaltung eines talentierten Wesens, das sich in seinen ersten, von Lebenserfahrungen noch unberührten Ansätzen zeigt. Das Debüt wird demnach als Quintessenz literarischen Talents betrachtet, das noch nicht von „Erfahrenem und Erlebtem und Erlerntem“ verwässert wurde. Wieder gilt: Jung ist „der Dichter“, wenn er debütiert, und außerdem von der Welt noch weitgehend unberührt, was bürgerliche Lebenszusammenhänge voraussetzt, die unbeschwert von körperlicher Arbeit Zugänge zu Bildung, Selbstentfaltung, Muße bieten. Eine Variation dieser Auffassung des literarischen Debüts als stichhaltige Talentprobe findet sich hundert Jahre später in einer Äußerung von Marcel Reich-Ranicki, in der er im Zuge einer Sendung des Literarischen Quartetts behauptet, dass „die Weltliteratur aus Debütromanen“ bestehe: „Der erste Roman ist das Wichtigste und dann kommt gar nichts mehr.“iv
Romandebüts werden heutzutage mit teilweise astronomischen Vorschüssen ausgestattet und es gibt einen Auktionsmarkt für Debüt-Manuskripte, die von Agenturen verschiedenen großen Publikumsverlagen angeboten werden, die – je nach Einschätzung des potentiellen Verkaufserfolgs – auf das Manuskript bieten. Zunächst wird damit auf die Zukunft der jeweiligen Autor*innen spekuliert, auf einen besonders erfolgreichen Eintritt ins literarische Feld, der sich an der Akkumulation sowohl von ökonomischem als auch von symbolischem Kapital misst, am Verkaufserfolg also ebenso wie an den Nominierungen für bedeutende Preise, an Auszeichnungen und Besprechungen in einflussreichen Feuilletons. Manchmal aber kommt für jene Autor*innen, auf deren Anspiel mit hohen Einsätzen spekuliert wird, nach dem ersten Roman tatsächlich „gar nichts mehr“. Werden die Erwartungen auf einen erfolgreichen Verlauf des Eintritts ins literarische Feld nicht erfüllt, kommen keine Verträge für Folgeprojekte zustande, die Erfolgskurve flacht ab, womit auch die Bereitschaft, in das Projekt ‚Autor*in XY‘ zu investieren abnimmt. Der Kurs bricht ein. Die Verhandlungen mit kleineren Agenturen oder Verlagen werden als Ausdruck einer Niederlage empfunden und mitunter auch von anderen Akteur*innen (Kolleg*innen, Verleger*innen, Kritiker*innen, Agent*innen) als solche bewertet. Dass allerdings jedes Debüt in unserer Konsumgesellschaft irgendwann sein Ende findet, damit beschäftigt sich Yael Inokai in ihrem Essay über das Verramschen.
Die einfache Gleichung literarisches Debüt = erstes Buch hält also nicht. Es spielen zahlreiche strukturelle Faktoren eine Rolle, um aus einer selbstständigen Publikation ein Debüt zu machen. Alter, Geschlecht, Erstsprache, soziale Herkunft sind dabei ebenso von Bedeutung wie literaturbetriebsinterne Mechanismen und Positionierungen. Das Debüt ist in dieser Hinsicht eher als Anspiel, als legitimierter Eintritt ins literarische Feld und insofern als ein Akt der Initiation, der Inauguration zu betrachten. Einem gewissen Selbstverständnis nach ist der Zutritt zum literarischen Feld kaum bis gar nicht beschränkt oder codifiziert: Diese Auffassung hat sich zwar im Laufe der letzten Jahre angesichts der zunehmenden Anzahl an Absolvent*innen von Literaturinstituten und Schreibschulen teilweise verändert, im Großen und Ganzen gilt jedoch bis heute, dass jede*r mit Talent und Ambition einen Weg als Schriftsteller*in einschlagen könne. Dieses Verständnis macht die tatsächlichen Zugangsbeschränkungen nicht durchlässiger, öffnet aber jener Illusion der Chancengleichheit Tür und Tor, mit der sich kaśka bryla in ihrem Essay im Hinblick auf die Un/Möglichkeit von Kooperation auf Augenhöhe beschäftigt hat.
II. Coming of Age in Karhide. Oder: Annäherungen an das Debüt als Initiationsprozess
In der Coming-of-Age-Erzählung von Ursula K. Le Guin begleiten wir die Erzähler*in bei der sexuellen Initiation, beim ersten Kemmer. In der Gesellschaft, in der die Erzähler*in lebt, spielen blutsverwandtschaftliche Verbindungen ebenso wenig eine Rolle wie eindeutige geschlechtliche Zuweisungen. Erst während des Kemmerns, des Liebesspiels mit verschiedenen Personen, das in einem eigens dafür vorgesehenen Haus stattfindet, bilden sich Geschlechterzugehörigkeiten aus, die jedoch auch danach nicht stabil bleiben. Als Frau oder als Mann ins erste Kemmer zu gehen, bedeutet nicht, in weiterer Folge als Frau oder als Mann zu leben. Das Geschlecht kann sich bei jedem Kemmer ändern, muss es aber nicht. Wir, die PS-Redaktion, haben diese Erzählung in Vorbereitung auf das Heftthema gelesen und diskutiert, da uns diese Form des Initiationsritus im Hinblick auf das Debüt, auf den Eintritt in den Literaturbetrieb interessiert hat. Wie bei jeder anderen Initiation auch, werden die Menschen in Karhide während des Kemmer eingeweiht in die Abläufe eines Spiels, in diesem Fall eines Liebesspiels, was ihren Körper ebenso wie ihre Haltung, ihre Einstellungen verändert. Im Gegensatz zu der Vorstellung, dass ein Coming-of-Age, dass eine Initiation einen Menschen zu dem oder zu der macht, die er oder sie ist beziehungsweise zu sein hat, liegt die Bedeutung des Kemmer in seinem Ablauf selbst: Nicht das Wesen oder die Essenz eines Geschlechts oder eben eines literarischen Talents werden entdeckt, entwickelt, zur Entfaltung gebracht etc., sondern die Möglichkeiten des Spiels werden von den Teilnehmer*innen erkundet und ausgelotet.
Interessant dabei für die Redaktion war nicht, dass das erste Kemmer wiederum an ein bestimmtes, jugendliches Alter gebunden ist (obwohl alle Menschen in Karhide ihr Leben lang ins Kemmerhaus gehen), sondern die Betonung des Prozesses, der Teilnahme an und in diesem spezifischen sozialen Raum.
Deshalb haben wir beschlossen, eine Umfrage unter zwei Akteur*innen-Gruppen, die maßgeblich an Debütprozessen beteiligt sind, zu konzipieren und durchzuführen: In ausführlichen Besprechungen mit den Redaktions- und Beiratskolleg*innen haben wir einen Fragebogen für Autor*innen und einen für Verlage erstellt und in mehreren Durchgängen evaluiert. Fokussiert haben wir dabei ausdrücklich auf das Prosadebüt – nicht, um die stillschweigende Voraussetzung, ein ‚richtiges‘ Debüt habe ein Roman zu sein, zu reproduzieren, sondern um uns genau mit diesem Aspekt des Spiels, mit seinen Abläufen und Varianten, zu befassen. Es geht uns dabei um das Prosadebüt als Prozess, der von gewissen Faktoren beeinflusst wird und an dem auf verschiedene Weisen, mit unterschiedlichen Voraussetzungen teilgenommen wird.
Durchführungen
I. Worüber nicht gerne geredet wird. Oder: Rückmeldungen zu den Fragebögen
Liebe PS-Redaktion,
wir mögen eure Zeitschrift sehr, aber zu Debütromanen können wir leider nichts beitragen. Als Verlag hassen wir Romane und sehen in ihnen eine aussterbende Gattung!
Rückmeldung der parasitenpresse auf den Verlags-Fragebogen, April 2020
Das Ziel unserer Umfrage war, aussagekräftige Stimmungsbilder über den Debütprozess sowohl aus Verleger*innen- / Lektor*innen-Sicht, als auch aus Autor*innen-Perspektive zu generieren, mit einer möglichst breiten Streuung im Hinblick auf das Erscheinungsjahr des Debüts, auf die Größe der Verlage, auf Verlags- und Wohnsitze im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich und die Schweiz) sowie auf Geschlecht und Erstsprachen.
Der ursprünglich geplante Zeitraum für die Aussendung verschob sich wegen Covid-19 nach hinten, sodass wir unsere Anfragen erst Mitte April versendeten.
Die ersten Schwierigkeiten, die auftraten, waren technischer Art: Eine Autor*innen-Vereinigung hatte sich schnell bereit erklärt, den Link zur Umfrage weiterzuleiten. Es kamen viele Rückmeldungen seitens der teilnehmenden Autor*innen, die sich allerdings nicht auf die Qualität des Fragebogens, sondern auf den Umstand bezogen, dass einige über den Link, der ausschließlich zum Autor*innen-Fragebogen führen sollte, an die für die Verlage konzipierte Umfrage gerieten. Alle Versuche unsererseits, dieses Problem zu lösen, schlugen fehl, also blieb uns nichts anderes übrig, als das ursprüngliche Design zu löschen und den Autor*innen-Fragebogen neu aufzusetzen, wobei die Ergebnisse des ersten Durchganges erhalten blieben.
Zwei weitere Autor*innen-Vereinigungen erklärten uns, warum sie schwerwiegende Bedenken hätten, den Fragebogen über ihre jeweiligen Verteiler zu schicken: Gemeinsam war beiden, dass sie ‚ihren‘ Autor*innen nicht zumuten wollten, in einer prinzipiell anonymen Umfrage „intime“ Angaben zur Person sowie zu den erhaltenen Vorschüssen zu machen, wobei von einer Seite auch Skepsis darüber geäußert wurde, ob die Anonymität der teilnehmenden Autor*innen überhaupt gewährleistet werden könne:
„Liebe Kolleginnen, ich möchte Bedenken anmelden. Diese Umfrage, die strukturell hervorragend gemacht ist, ist nur teilweise anonym; sie fragt zum Beispiel den Verlagsnamen ab. Das sehe ich als kritisch an. […] Auch kann man bei den Vorschusshöhen keine Enthaltung eintragen; manche unserer Kolleginnen und Kollegen sind da durchaus sensibel, und würde einerseits gerne mitmachen, doch ungern über Geld reden, egal ob es hoch oder niedrig ist. […] Honorarhöhen? Zufriedenheitslevel zwischen AutorInnen und Verlagen? Verteilung von Geschlechtern, um weitere Rückschlüsse auf Umgang mit m/w/n-b AutorInnen zu erhalten im Verhältnis zu Werbeaufwand oder Honorar? Die Umfrage ist mit unterschiedlichen Fragestellungen ausgestattet, sie umfasst sowohl Honorarhöhen, als auch Zufriedenheitsaspekte, sowie intime Fragen nach Alter, Honorarhöhe, Verlagsname. Ich werde sie deshalb nicht unseren beteiligten Verbänden empfehlen. Ich bin mir aber sicher, dass wir diese Rückfragen gut geklärt bekommen und die Umfrage ggfs. fokussierter ausgestaltet wird und nicht die Verlagsnamen verlangt, sondern z. B. Größe des Verlages umreißt. Herzliche Grüße und danke für die Initiative, nehmen Sie mir die pingeligen Fragen nicht übel.“
Die Korrespondenz mit dem Vorsitzenden einer anderen Autor*innen-Vereinigung gestaltete sich folgendermaßen:
„Liebe Eva Schörkhuber, Umfragen, die nicht von uns selber kommen, akzeptieren zu viele unserer Mitglieder nicht. Wir haben es schon schwer, mit eigenen Umfragen Akzeptanz zu finden. Haben Sie es schon bei der ____ und beim ____ versucht? Herzliche Grüße“
Dass es im Literaturbetrieb, wie in anderen Erwerbszusammenhängen auch, ein meist stillschweigendes Einverständnis darüber gibt, dass über Geld nicht geredet wird, haben wir bei anderen Gelegenheiten schon festgestellt – ebenso wie die Tatsache, dass dieses Einverständnis dazu führt, strukturelle Ungleichheiten hinzunehmen und Solidarität zu unterbinden. Das gilt für ungleich verteilte Lesungshonorare ebenso wie für Vorschusszahlungen. Erstaunt waren wir dennoch über das Ausmaß der Vorbehalte, über die Selbstverständlichkeit, mit der Autor*innen, die mit ihren Debüts per definitionem in eine Öffentlichkeit treten, als Einzelwesen, die keine Angaben zu ihrer Person als Akteur*in in einem bestimmten sozialen Feld machen wollen / können / dürfen, betrachtet werden.
In unserem Autor*innen-Fragebogen erhoben wir lediglich die üblichen Daten zur Person: das Alter beim Debüt, das aktuelle Alter (jeweils nach Altersgruppen), die Geschlechtszugehörigkeit (weiblich / inter / nicht-binär / männlich / sonstiges), die Erstsprache (ob Deutsch ja oder nein), den höchsten Bildungsabschluss, die Mitgliedschaft bei einer Autor*innen-Vereinigung sowie bei einer Verwertungsgesellschaft, den etwaigen Besuch eines Literaturinstitutes.
Bedenken darüber, ob die Anonymität bei den Autor*innen tatsächlich gewährleistet werden könne, wurden im Laufe der Umfrage auch in individuellen Anfragen artikuliert: Einige Autor*innen, die an der Umfrage teilnehmen wollten beziehungsweise schon teilgenommen hatten, erkundigten sich per Mail oder per Social-Media-Nachricht danach, ob wir denn wirklich keine Rückschlüsse auf die Namen der Teilnehmer*innen ziehen würden.
Selbst wenn wir uns die Mühe gemacht hätten, über Jahrzehnte hinweg all die Programme jener Verlage, die im Fragebogen genannt wurden, durchzusehen, wir hätten die einzelnen Autor*innen nicht eruieren können und vor allem: nicht wollen. Es ging eben nicht darum, Einzelfälle zu diskutieren, irgendwelche Skandale ins Leben zu rufen oder einfache Vergleiche zwischen Autor*in X und Autor*in Y anzustellen. Uns interessierten die Autor*innen als Akteur*innen im literarischen Feld, wobei wir breit angelegte Stimmungsbilder zu den unterschiedlichen Debütprozessen erzeugen wollten, stets im Hinblick auf jene Faktoren, die mit ausschlaggebend sind dafür, wann und wie eine*r als Schriftsteller*in wahrgenommen wird.
Die freundliche und bestimmte Antwort der parasitenpresse hat uns vor Augen geführt, dass nicht alle Verlage, die Prosa publizieren, mitmischen wollen am Langprosadebüt-Markt, dass nicht jedes Verlagsprofil zwangsläufig dahingehend ausgerichtet wird, je nach finanziellen und personalen Ressourcen einen bestimmten Einsatz in ein Prosadebüt zu investieren, sondern dass es im gegenwärtigen Betrieb durchaus auch andere Möglichkeiten gibt, sich als Verlag zu positionieren.
II. Auswertung der Fragebögen
Aufgrund der zeitlichen Verzögerung bei den Anfragen und der schwierigen Umstände, die mit der Covid-19-Pandemie einhergingen, sowie der technischen Probleme und der Vorbehalte, die Umfrage über größere Autor*innen-Mail-Verteiler zu schicken, konnten wir bei Weitem nicht so viele Teilnehmer*innen erreichen, wie geplant. Bei den Verlagen gab es lediglich acht Rückläufe, bei den Autor*innen 62. Trotzdem hat sich die Auswertung, die wir nicht gemeinsam an einem Ort durchführen konnten, sondern via Video-Gespräch über mehrere Tage verteilt erarbeiten mussten, als langwierig und anspruchsvoll erwiesen. Angesichts der Auswertungstabellen, die das Ergebnis dieser virtuellen Sitzungen sind, können wir folgende Cluster erstellen und in weiterer Folge zu Stimmungsbildern im Hinblick auf Prosadebüt-Prozesse zusammenführen, wobei wir keinerlei Anspruch auf Repräsentativität erheben.
Autor*innen:
Von den 62 Autor*innen berichteten 31 aus einem Debütprozess mit einem Verlag der bis zu fünf Mitarbeitende hatte. Bei 15 waren es bis zu zehn Mitarbeitende. Bei sechs bis zu 20, bei vier bis zu 50 und bei weiteren sechs waren Verlage mit über 50 Mitarbeitenden.
Damit liegt ein Fokus auf kleinen und mittelgroßen Verlagen, wobei die verbleibenden 16 Autor*innen bei größeren bis sehr großen Verlagen uns für ein Stimmungsbild ausreichend scheinen.
Angesichts des Überhangs an kleinen und mittelgroßen Verlagen ist es auch nicht verwunderlich, dass 24 der Autor*innen aus Eigeninitiative zu ihrem Verlag kamen. Die zweitgrößte Gruppe aus 17 Autor*innen gelangte über eine Agentur zu einem Verlag.
Der Zeitraum, in dem die Debüts erschienen sind, umfasst eine Spanne von knapp 40 Jahren: Das Debüt, das am längsten zurückliegt, wurde 1981 veröffentlicht, das jüngste erscheint in diesem Jahr. Insgesamt sind 12 vor 2000, 15 zwischen 2000 und 2010 und die restlichen 47 zwischen 2010 und 2020 verlegt worden, wobei sich tendenziell feststellen lässt, dass die jüngeren Debüts eher mit einem Vorschuss versehen wurden. Allerdings wurde auch für das 1981 publizierte Debüt ein Vorschuss in geringerer Höhe (bis 1000 €) vergeben.
Mehr als die Hälfte der Autor*innen (28) bekam für ihr Debüt einen Vorschuss. Bei zehn davon lag er zwischen 1000 € und 5000 €. Bei sechs von den 28 lag der Vorschuss zwischen 10 000 € und 30 000 €. Es wurde ein Vorschuss mit über 50 000 € angegeben.
Was uns ebenfalls interessiert hat, war die geographische Lage des Verlags in Bezug zu den Autor*innen. Hierbei gaben 37 Autor*innen an, nicht in der Stadt zu wohnen, die Sitz ihres Verlages ist. Von den 37 Autor*innen gaben 17 an, dass sie es seien, die zu Treffen mit ihrem Verlag reisten, und nur in fünf Fällen kam für die anfallenden Reisekosten der Verlag auf. Überrascht hat uns, dass in 25 Fällen anscheinend Verlagsmitarbeiter*innen zu den Autor*innen reisten.
Was die Zufriedenheit der Autor*in mit ihrem Debütverlag angeht, ließen sich folgende Erkenntnisse gewinnen: Auf einer Skala von 1 bis 5, wobei 1 für Sehr Gut steht und 5 für Nicht genügend, vergaben bei der ersten Frage in Bezug auf allgemeine Zufriedenheit im Hinblick auf die Zusammenarbeit 23 Autor*innen ein Sehr Gut und 38 ein Gut. Andere Bewertungen wurden nicht vergeben.
Ganz anders sieht es dann schon bei den Detailfragen aus:
In Bezug auf das Lektorat waren nur noch zwölf Autor*innen sehr zufrieden, zehn vergaben ein Befriedigend und acht ein Nicht Genügend.
Beim Korrektorat wiederum war die meistvergebene Note das Sehr Gut mit 24 Nennungen.
Auch bei der Transparenz der Abläufe schneiden Verlage mit 21 Sehr Gut und nur sechs Nicht Genügend recht gut ab.
Beim Mitspracherecht sinkt das Zufriedenheitsbaramoter der Autor*innen und die Noten verteilen sich relativ gleichmäßig über 1 bis 5.
Was die Bewerbung des Buches angeht, ist die Zufriedenheit erstaunlich hoch. 23 bekommen eine 1 und 17 eine 2.
Erstaunlich dann, dass die Noten für Inserate wieder gleichmäßig über 1 bis 5 verteilt sind.
Komplett anders sieht es bei der Programmvorschau aus, wo Verlage mit 24 Nicht Genügend das höchste akkumulierte Minus erreichen.
Versöhnlicher dann wieder das Stimmungsbild im Hinblick auf die Organisation von Lesungen mit 21 Sehr Gut, allerdings auch mit zehn Nicht Genügend.
Die Zufriedenheit mit der Pressearbeit tendiert von der Mitte hin zum Nicht Genügend.
Dass der Vertrieb auf 17 Nicht Genügend kam hat uns allerdings erstaunt.
Und auch die Kommunikation mit dem Verlag wies 19 Nicht Genügend gegenüber von nur 13 Sehr Gut auf –
während bei der emotionalen Zugewandtheit wieder 18 Sehr Gut und 18 Gut vergeben wurden.
36 der 62 Autor*innen machten ihren Folgeroman mit einem anderen Verlag. 23 blieben bei ihrem Debütverlag. Drei hatten zum Zeitpunkt der Umfrage noch keinen zweiten Roman publiziert.
Von den 23, die bei ihrem Verlag blieben, ist die allgemeine Zufriedenheit über die Zusammenarbeit mit dem Verlag über die fünf Wertungen relativ gleich verteilt.
Von den 36, die ihren Verlag wechselten, taten dies 18 auf Eigeninitiative. Nur drei bekamen bei dem Folgeverlag einen Vorschuss. Die Zufriedenheit über die Zusammenarbeit rangierte wiederum zwischen Gut und Genügend.
Von der Gesamtmenge der Autor*innen war der größte Teil bei seinem Debüt zwischen 30 und 35 Jahre alt, nämlich 25 Autor*innen. Dicht gefolgt von 19 Autor*innen, die zwischen 35 und 45 Jahre alt waren, als ihr Debüt erschien.
38 der am Fragebogen teilnehmenden Autor*innen gaben an, Frauen zu sein, 20 Männer, drei sonstiges, und eine Person machte keine Angabe.
32 Autor*innen sind zum Zeitpunkt der Umfrage über 45 Jahre alt. 19 zwischen 35 und 45. Keine Autor*in ist unter 25 Jahre alt.
Bei neun Autor*innen ist deren Erstsprache nicht Deutsch. 23 haben einen Hochschulabschluss in Form eines Masters oder Magisters, zwölf ein abgeschlossenes Doktorat und zwei einen Lehrabschluss.
18 besuchten ein Literaturinstitut oder eine Schreibschule. 47 sind Mitglied bei einer Autor*innenvereinigung und 46 bei einer Verwertungsgesellschaft wie VG-Wort oder Literar-Mechana gemeldet.
Was die Zufriedenheit ihrer ökonomischen Situation als Schriftsteller*innen angeht, vergaben 18 ein Nicht Genügend, 14 ein Genügend, 18 ein Befriedigend, acht ein Gut und nur drei ein Sehr Gut.
Verlage
Angesichts des sehr geringen Rücklaufs bei den Verlagsfragebögen und der Tatsache, dass es sich bei den insgesamt acht Verlagen, die an der Umfrage teilnahmen, ausschließlich um kleinere mit maximal zehn Mitarbeiter*innen handelt, ist die Datenlage zu gering und zu wenig breit gestreut, um ein Stimmungsbild zu kreieren. Deshalb beschränken wir uns in der Auswertung und Diskussion auf die Ergebnisse der Autor*innen-Umfrage.
Coda
Als signifikant erscheinen uns folgende Facetten des Stimmungsbildes: Mit zwei Ausnahmen, bei denen die Autor*innen durch einen Verlagswechsel erst für ihr zweites Buch einen Vorschuss erhielten, waren die Vorschüsse bei den Prosadebüts tendenziell höher als bei den weiteren Publikationen in einem Folgeverlag. Daraus lässt sich schließen, dass der Akt des Eintritts ins literarische Feld mit einer höheren Spekulationssumme versehen wird als die darauffolgenden Autor*innen-Tätigkeiten. Entweder wird auf das Folgeprojekt weniger gebaut oder das Debüt war nicht „erfolgreich genug“. Das Ziel besteht demnach tendenziell nicht darin, Autor*innen über einen längeren Zeitraum, über mehrere Buch-Projekte hinweg aufzubauen, sondern mit einem Debüt einen schnellen Erfolg zu erzielen, der einen lediglich singulären Auftritt von Autor*innen am Buchmarkt buchstäblich in Kauf nimmt.
Aufschlussreich sind auch die Daten zur Zufriedenheit seitens der Autor*innen mit der Verlagszusammenarbeit: Die allgemeine Zufriedenheit ist signifikant höher als jene mit den einzelnen Aspekten. Wir interpretieren das als eine Art vages, allgemeines Zufriedenheitsgefühl, bezogen auf den teilweise schon mehrere Jahre zurückliegenden Debütprozess, wobei der Teufel, wie so oft, im Detail zu liegen scheint. Dass das Lektorat im Debüt-Verlag wesentlich schlechter bewertet wird als das Korrektorat, ist dabei ebenso bemerkenswert wie die durchwachsene Zufriedenheit hinsichtlich des Mitspracherechts: Ob es dabei – zwischen Lektorat und Mitspracherecht – Korrelationen gibt, können wir angesichts unserer Daten nicht ermitteln, wir stellen uns aber durchaus die Frage, weshalb die Erfahrungen mit dem Lektorat weit weniger zufriedenstellend waren, ob es sich um nachlässige und / oder autoritäre Lektoratsprozesse gehandelt hat, die das ausgezeichnete allgemeine Zufriedenheitsbild getrübt haben. Ähnlich verhält es sich mit der auffällig hohen Unzufriedenheit mit der Verlagsvorschau: Wie beim Lektorat lässt sich kein eindeutiger Zusammenhang mit der Größe des jeweiligen Verlages feststellen – es gibt bei großen ebenso wie bei kleinen Verlagen in nahezu selbem Ausmaß sehr gute und sehr schlechte Bewertungen bei diesen beiden Aspekten. Das ist insofern erstaunlich, als größere Verlage über zumindest numerisch viel höhere Lektoratskapazitäten verfügen und bei den Positionierungen der Buch-Titel eher marktökonomischen Leitlinien folgen als Independent-Verlage (so würde man meinen). Eine weiterführende Frage wäre in diesem Zusammenhang, inwieweit sich die Perspektiven, also die Erwartungshaltungen auf Autor*innen-Seite verschieben, wenn der Eintritt ins literarische Feld als Debtütant*in mit einer relativ hohen Spekulationssumme versehen wird: Ob es eine tendenzielle Neigung dazu gibt, eine schlechtere Positionierung in der Verlagsvorschau, weniger Mitspracherecht, eventuell auch hinsichtlich des Lektorats, hinzunehmen und den Vorschuss als eine Art Schmerzensgeld zu betrachten, oder ob umgekehrt mit den Ansprüchen, die an eine*n als Spekulationsprojekt namens Autor*in XY gestellt werden, auch die eigenen Ansprüche an die Zusammenarbeit mit dem ökonomisch potenteren Verlag steigen.
Da capo al fine … ?
Was sich aus den erhobenen Daten über auf die Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit mit dem Verlag aussagen lässt, ist, dass eine hohe Vorschusssumme, eine Publikation in einem größeren Verlag keine Garantin für einen durchwegs zufriedenstellenden Debüt-Prozess ist. Allerdings garantiert auch ein Independent-Verlag keinen reibungslosen Ablauf auf Augenhöhe: In ökonomisch weniger gewichtigen Zusammenhängen kommen ebenso jene Mechanismen zum Tragen, die den Eintritt ins literarische Feld und dessen Wahrnehmung reglementieren.
Wesentlich scheint uns, dass sich Autor*innen nicht selbstverständlich und ausschließlich als Spekulationsprojekt betrachten, sondern als Akteur*innen, die sich mit ihren Entscheidungen, wo sie ihr Debüt machen, im Literaturbetrieb positionieren – können. Ein symbolisch und ökonomisch hoch dotierter Eintritt verspricht noch lange nicht eine weiterhin ansteigende Karriere, im Gegenteil: Unter hohem finanziellen, mitunter auch persönlichem Einsatz – etwa wenn eigene Ansprüche hinsichtlich einer gleichberechtigten Zusammenarbeit hintangestellt werden – wird auf ein Spiel gesetzt, das mit schnellen, auch singulären Erfolgen operiert. Nicht alle können – und müssen – an diesem Spiel teilnehmen. Fragen, wie sich eine gelungene Zusammenarbeit mit einem Verlag gestalten könnte, sind, wie wir auch in den Umfrageergebnissen gesehen haben, vielfältiger und vor allem detailreicher. Wie sich eine*r ein Lektorat, die Positionierung in einer Verlagsvorschau oder Lesungen vorstellt, kann und sollte genauso Gegenstand von Verhandlungen mit Agent*innen und Programmleiter*innen sein wie ökonomische Aspekte. Dasselbe gilt auch für Verlage: Sich nicht auf das Spiel mit den hohen Auktionssummen für Langprosadebüt-Manuskripte einzulassen beziehungsweise einlassen zu können, heißt nicht zwangsläufig, keine Rolle zu spielen für einen Eintritt ins literarische Feld. Es gibt für beide Seiten die Möglichkeit anderer Zugänge, die eine längerfristige und mitunter zufriedenstellendere Zusammenarbeit perspektivieren. Es muss sich nicht immer alles reproduzieren, wieder und immer wieder von vorne losgehen. In diesem Sinne: Wir mögen Literatur sehr, aber wir haben zu diesem Spekulationsmarkt nichts beizutragen. Als PS-Redaktion hassen wir Langprosadebüt-Auktionen und sehen in ihnen ein aussterbendes Verfahren!
Lektorat: Carolin Krahl
Inspiriert von:
Ursula K. Le Guin: Coming of Age in Karhide. In: The Birthday of the World. HarperCollins 2002.
kaśka bryla: Wie du mir, so ich dir. Das Prosa-Debüt im Gefangenendilemma.
Carolin Krahl: Kostenloses Geld! (in Schnipseln). Collage zum Selbst-Publizieren.
Sabine Scholl und Lena Vöcklinghaus: Dies ist keine Übung. Debüts und Literaturinstitute.
Eva Geber: Der Debütroman … ist vorwiegend von Jüngeren geschrieben.
Yael Inokai: Das Ende vom Anfang.
Christine Koschmieder: Das Debüt: Spielgeld oder Währung?
Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Übers. Achim Russer, Bernd Schwibs, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001.
Pascale Casanova: République mondiale des lettres. Paris: Éditions du Seuil 1997.
Susanne Krones: Späte Debütanten. Von schriftstellerischen Anfängen im fortgeschrittenen Alter. In: Zeitschrift für Germanistik 2/2012, S. 259-273.
i Vgl. Susanne Krones: Späte Debütanten. Von schriftstellerischen Anfängen im fortgeschrittenen Alter. In: Zeitschrift für Germanistik 2/2012, S. 259-273
ii G. von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 2001, 8., verb. u. erw. Aufl. [11995], S. 154.
iii Karl Emil Franzos: Die Geschichte des Erstlingswerks.Vorbemerkung. In: Deutsche Dichtung 9 (1890/91),S. 17
iv Marcel Reich-Ranicki: Meine Enzyklopädie. MRR wird 80.Wir gratulieren mit einem Sonderdruck: Seine fundamentalsten Sätze aus dem Literarischen Quartett. In: SZ-Magazin v. 2.6.2006, S. 20–25, hier S. 21, zitiert nach: Krones 2012, S. 261