die freuden des alters
das persönliche und das politische
zu den freuden des altwerdens gehört auf alle fälle die möglichkeit, ein stück zurückzublicken und vergleiche anzustellen. das hat nix mit nostalgie zu tun. da hast du einmal diese junge autorin lesen gehört, furchtbar, sie hat sich auf der bühne gefürchtet, gepiepst, der text war auch nicht berauschend. und jetzt, zehn jahre später schreibt sie gut, kann ihre texte gut vortragen. das erinnert dich daran, wie du selber angefangen hast. oder die freude über den jungen kollegen: er mußte immer seine ganze wut und seine ganze verzweiflung in einen einzigen text packen und in fünf minuten atemlos in die welt hinausschreien. niemand wollte das hören oder lesen. ich habe ihn auf einen kaffee eingeladen und ihm gut zugeredet: schreib einen text über ein problem, dann kannst du noch immer einen text über das nächste problem schreiben usw. er hat mich nicht verstanden. zweidrei jahre später liest er mir einen text vor, einen guten text. und danach sagt er, ich habe dich damals nicht verstanden, aber ich habe darüber nachgedacht. und du hast recht gehabt. bei einer lesung spricht mich eine frau an, freut sich, mich endlich persönlich kennenzulernen. sie erzählt mir, sie habe jahrzehntelang einen text von mir, den sie in einer zeitschrift gefunden habe, in der küche hängen gehabt. bei einem umzug sei die schon recht verwutzelte zeitungsseite verschwunden, aber sie könne den text noch immer auswendig (er war sehr kurz), und er hätte sie in einer verzweifelten situation gerettet. was willst du als autorin mehr? ich mag diesen text noch immer und finde, er ist aktuell geblieben. andere texte hat die zeit überholt, oder ich würde sie heute ganz anderes schreiben.
das sind die kleinen freuden des eigenen literarischen alltags. die große welt der literatur, der kunst und der politik schaut anders aus. da gilt der abgedroschene satz, “früher war alles besser” tatsächlich. literturförderungen und honorare sind seit den 80er jahren durchschnittlich gleich hoch geblieben, was heißt, daß unter berücksichtigung der inflation heute viel weniger gezahlt wird. bezahlte publikationsmöglichkeiten in zeitungen und zeitschriften gibt es heute so gut wie garnicht mehr. in den 80er jahren erschienen texte von mir u. a. in der literaturbeilage der “volksstimme” und in der spö-frauenzeitschrift “die frau”. und diese publikationen waren honoriert! beide medien gibt es längst nicht mehr. als burgenländerin wurden meine texte auch in der literatursendung von radio burgenland vorgestellt, gegen ein anständiges honorar. diese sendung gibt es dem namen nach immer noch, aber es hat sich beliebigkeit, ahnungslosigkeit und desinteresse etabliert, wo früher geistige regsamkeit war, weil damals engagierte, neugierige und belesene leute für die sendungen verantwortlich waren.
in den 80er jahren wurde im ö1-mittagsjournal berichtet, wenn die generalversammlung der ig autorinnen autoren einen beschluß gefaßt oder eine resolution verabschiedet hatte. das kann frau sich heute nicht mehr vorstellen. die reihe von beispielen über die bedeutung von bzw. das interesse an literatur und literaturschaffenden ließe sich noch lange fortsetzen. das plötzliche desinteresse betraf nicht nur die literatur, sondern alle kunstsparten, sofern sie nicht einen unmittelbaren touristischen nutzen versprachen. ich bezeichne das als kuturellen niedergang. er kam schleichend. ende der achtizger jahre wurde mit kürzungen bzw. nichterhöhungen von kunstförderung durch alle öffentlichen hände angefangen, zeitgleich zur weltweiten etablierung des neoliberalismus. dieser wiederum geht einher mit esoterischen ideen, jede und jeder möge sich selbst verbessern, dann würde die welt auch besser, ein gedanke, der gegen jede solidarität steht. dazu paßt margaret thatchers ausspruch: „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht, ich kenne nur Individuen, Männer und Frauen”. die verbesserung der kunstwelt vor diesem politischen anspruch sieht so aus: wer öffentliches geld kriegt, muß evaluiert werden, muß also einen teil genau dieser föderung an fragwürdige¹ beratungsunternehmen zahlen, geld, daß in die taschen von finanzmanipulatoren fließt, anstatt künstlerInnen eine deckung des lebensunterhalts zu gewährleisten.
¹ fragwürdig, weil dieselben beratungsunternehmen kunst nach wirtschaftlichen gesichtspunkten evaluieren, die auch für geldanlage mit maximalem ertrag werben, also für steuerhinterziehung durch finanzmigration und steuerflucht.
das eine sind die politischen rahmenbedingungen, das andere ist der persönliche umgang damit, sich einrichten? dagegen sein? sich zurückziehen? nichts mitkriegen? ein paar geschichten über versuche, mit der welt umzugehen:
und trotzdem – das politische beispiel
als ende 2017 feststand, daß es eine schwarzblaue regierung geben wird, sagten mir viele leute, man müßte wieder widerstandslesungen machen.gemeint war: ich soll widerstandslesungen organisieren. wenn es jüngere machen, unterstütze ich das gerne, war meine antwort. als im jahr 2000 die schwarzblaue regierung angelobt wurde, begann ich zusammen mit anderen leuten lesungen auf dem ballhausplatz gegen diese regierung zu veranstalten, spontan und ohne langes nachdenken über form, dauer etc, einfach als widerstand gegen schwarzblau. daraus wurden 364 widerstandslesungen, von 2000 bis zur abwahl der schwarzblauen im herbst 2006. am anfang war ich 44, am ende 50 jahre alt. jetzt bin ich 62 und sage, das sollen jüngere machen. wenn es keine jüngeren gibt, die das weitermachen, was die älteren angefangen haben – wozu dann? wenn jüngere etwas übernehmen, kann es sein, daß sich etwas ganz neues entwickelt. das müssen die älteren zulassen (können), was nicht immer der fall ist. eigentlich ist das ganz selten der fall.dabei kann gerade das große freude machen: zu sehen, wie etwas ganz neu, ganz anders weitergehen kann, wie ein neuer gedanke in die welt kommt, den du selber nicht gedacht hast. die widerstandslesungen waren im jahr 2000 auch ein neuer gedanke und eine neuartige aktion. daß am ende mehr als vierhundert personen rund 600 stunden gelesen, gesungen, musiziert, vorgetragen, gefeiert haben würden, war weder geplant noch vorhersehbar. im gegenteil: glaubten wir doch, diese regierung würde sich nicht länger als einen monat halten. es gab lesungen bei schneesturm, bei minus fünfzehn grad, bei wolkenbruch, bei sonnenschein, sogar eine partielle mondfinsternis begleitete einmal eine widerstandslesung. der damalige justizminister rannte einmal vor uns davon, und der damalige bundeskanzler wollte mit irgendwelchen gästen aus dem kanzleramt herausgehen, sah uns und machte kehrt. es wurden eigens für die widerstandslesungen verfaßte texte ebenso gelesen wie ganze bücher in fortsetzungen oder texte, die mit politik überhaupt nichts am hut hatten. keine einzige dieser lesungen war angemeldet, ein bundesheerler rief beim aufbau der alljährlichen waffenschau zum nationalfeiertag einmal die polizei, weil ich die soldaten als zivildienstverweigerer bezeichnet hatte. er zerplatzte fast vor wut, weil die funkstreife trotz unserer nichtanmeldung (an diesem tag zum 233. mal!) nichts unternahm. von anfang bis ende waren die widerstandslesungen eine lehrveranstaltung über literatur, wer einigermaßen regelmäßig teilnahm, war danach belesener und gebildeter als davor. wie groß das publikum insgesamt war, ist kaum zu beantworten, manchmal waren über hundert leute da, manchmal nur zwei. die ewige frage, kann literatur etwas bewirken, zur gesellschaftlichen veränderung beitragen, ja oder nein, ist dadurch nicht beantwortet, es sei denn, die wirksamkeit besteht im davonlaufen des justizministers vor einer lesung. dann wäre die antwort ja.
ein anfang – das feministische beispiel
1979 wurde nach einer diskussion über frauenliteratur im kpö-lokal rotpunkt der arbeitskreis schreibender frauen gegründet. ich war vom anfang bis zum ende dabei. der arbeitskreis bestand bis 1987, also acht jahre, was für eine gruppe dieser art eine recht lange zeit ist. die arbeitskreis-frauen wollten einerseits selber schreiben andererseits frauenliteratur und die arbeitsbedingungen schreibender frauen diskutieren. keine hatte einen eigenen arbeitsplatz, manche hatten nicht einmal eine schreibmaschine. sie schrieben am küchentisch oder auf der waschmaschine. das familiäre umfeld hatte bei der mehrzahl der frauen kein verständnis für das schreiben, das als zeitverschwendung gesehen wurde. so meinte meine mutter, statt zu schreiben könnte ich abstauben oder meinem kind einen kuchen backen. 1981 übersiedelte der arbeitskreis ins wuk, das damals einer ansammlung von baustellen glich, allerdings bevölkert von einzelpersonen und gruppen, die künstlerisch und politisch in eine bessere zukunft aufbrechen wollten. erst im wuk entfaltete der arbeitskreis über die diskussionen zu den eigenen texten und arbeitsbedingungen hinaus vielfältige aktivitäten. als kollektiv hatten wir alle möglichkeiten, die keine von uns als einzelperson gehabt hätte. wir waren ebenso zu lesungen in die alte schmiede eingeladen, wie wir ein großes kunstfest in der szene wien mit unterstützung des z-club² veranstalten konnten. neben lesungen gab es musik, ausstellungen, diskussionen etc. da unsere texte damals noch nicht publiziert waren, entstand die idee, eine eigene zeitschrift zu gründen: texte zum nachlesen. vier ausaben dieses heftes im a5-format erschienen. der bestseller war das themenheft zu nicaragua, ausgehend von einem lesefest in der alten schmiede. diese ausgabe wurde 800mal verkauft.
² der z-club war eine einrichtung der damaligen zentralsparkasse der stadt wien, kurz z genannt. ursprünglich bestand ein lokal, in dem es ein kulturprogramm mit konzerten und billigem essen gab sowie ein eigenes kino. später sponserte der z-club veranstaltungen in verschiedenen locations, legendär waren die jazzkonzerte im audimax der tu wien in den 80er jahren.
die themen, die im arbeitskreis schreibender frauen bei den wöchentlichen treffen diskutiert wurden, deckten alle weiblichen lebensbereiche ab, vom kinderkriegen bis zur künstlerischen arbeit und dem politischen engagement. es gab die politischen frauen und die schöngeistinnen, es gab die damen, die nur frisch onduliert auf die bühnen gingen, und es gab die wilden weiber, die keine angst vor den punks im wuk-hof hatten. die verschiedenen lebensrealitäten zeigten sich in verschiedenen zugängen zum schreiben. für die ondulierte dame war das wichtigste ihr eigenes buch. sie bekam eines abends sehr schlechte kritiken für ihre gedichte, die von den anderen als kitschig und schlecht gereimt bezeichnet wurden. sie rauschte beleidigt ab und kam erst nach ein paar wochen wieder – mit ihrem buch, das sie bei einem bezahlverlag hatte drucken lassen. sie war stolz darauf, denn natürlich hatte der verlag ihr eingeredet, daß ihre gedichte bestsellerverdächtig wären. sonst hätte sie wohl das geld nicht herausgerückt, soviel, daß es für andere ein jahr zum leben gereicht hätte. aber das kollektiv fand, ein gedicht wird nicht besser, nur weil es abgedruckt ist.
der arbeitskreis sah sich als teil der feministischen bewegung und diskutierte daher auch die damalige frauenliteratur. mitte der 80er jahre wurde dieser begriff kritischer gesehen als noch in den 70er jahren. der erste aufbruch brachte eine menge an belletristischem und essayistischem hervor, dem in der ersten euphorie keine qualitätskriterien zugrunde gelegt waren. dazu kam eine von der 68er-bewegung stammende radikaldemokratische vorstellung von literatur: jede und jeder kann schreiben und soll es auch tun, präsentation inklusive. es gab tatsächlich leute, die sich stundenlang qualitätsfreie texte in ebensolchem vortrag anhören konnten und das als politischen akt verstanden. hängen blieb die kritik freilich allein an den von frauen produzierten texten. aus dieser zwickmühle mußten wir wieder heraus. so stellte sich beispielsweise die frage, ob der text einer fließbandarbeiterin, die wirklich etwas zu sagen hatte, aber nicht rechtschreiben konnte, korrigiert oder unkorrigiert abgedruckt werden sollte. sie selber wollte ihre rechtschreibfehler nicht gedruckt sehen, die akademikerinnen aber hielten die fehler für authentisch und wollten den text in der urfassung publizieren.
der arbeitskreis schreibender frauen war bei weitem nicht allein mit seinen bemühungen um eine feministische literatur. 1980 wurde der wiener frauenverlag als verein gegründet. die beweggründe waren denen des arbeitskreises sehr ähnlich: die unzufriedenheit mit den publikationsmöglichkeiten für frauen und die wünsche der leserinnen, literatur von frauen nicht wie die nadel im heuhaufen bei den großen verlagen suchen zu müssen. seit 1997 existiert der verlag in dieser form nicht mehr und ist nun in den milena-verlag übergegangen, der kein frauenverlag mehr ist. in den 70er jahren und anfang der 80er jahre wurden auch frauenzeitschriften gegründet, von denen nur mehr die an.schläge existieren. eva & co war die einzige explizit als frauen-kulturmagazin gegründete zeitschrift, die als plattform für photographinnen und bildende künstlerinnen fungierte, ausstellungen und lesungen veranstaltete. sie existierte nur von 1982 bis 1992.
eine weitere erscheinung dieser zeit waren die werkkreise literatur der arbeitswelt, die bis heute existieren. diese hatten damals fast ausschließlich männliche mitglieder. zwischen dem arbeitskreis schreibender frauen und den werkkreisen gab es eine punktuelle zusammenarbeit, was dazu führte, daß texte einiger frauen in gewerkschaftszeitungen und in einem werkkreis-frauen-sammelband im fischer taschenbuchverlag erschienen.
bis zu jenen, die leselisten für schulen erstellen, hat sich diese weibliche präsenz freilich noch nicht durchgesprochen. derzeit kursieren listen im internet, auf denen keine einzige frau vorkommt. da waren wir schon einmal weiter, als immerhin ingeborg bachmann in der schule gelesen werden durfte.
auf die bühne – das unterhaltende beispiel
als 1977 der erste ingeborg-bachmann-preis in klagenfurt über die bühne ging, war bei vielen schreibenden die empörung groß. da sollte literatur der diskussion ausgesetzt werden und der autor oder die autorin auf der bühne vor publikum kritisiert werden. bei diesem almauftrieb wollten viele nicht mitmachen. dazu gibt es sogar einen einschlägigen beschluß der ig autorinnen autoren samt protest gegen diese art von wettbewerb. die literatur und ihre protagonistInnen leben zu einem nicht unwesentlichen teil von preisen, nicht nur dem preisgeld, sondern auch der durch die verleihung zumindest kurzfristig entstehenden möglichkeiten zum publizieren oder (bezahlten) lesen.
lange zeit hatte sich eine autorInnenlesung so abzuspielen: der/die autorIn sitzt hinter einem tisch mit leselampe, vor sich buch und wasserglas. eine möglichst honorige person begrüßt und spricht einleitende worte – und dann wird gelesen. möglicherweise darf das geschätzte pulikum nach der lesung noch ein paar fragen stellen. der bachmann-preis brach diese regeln. ein autor, der sich sein leben lang konsequent geweigert hatte, daran teilzunehmen, meinte, literatInnen könnten nicht wie bei misswahlen in konkurrenz zueinander antreten. ich hielt entgegen, daß die konkurrenz ja doch bestünde und oft sogar in äußerst intriganten konkurrenzkämpfen ausgetragen werde. aber das dringt nicht nach außen, meinte er. lange zeit blieb trotz der einmal jährlichen klagenfurter inszenierung alles beim alten.
erst die poetry-slam-bewegung brachte anfang der 2000er jahre änderungen in diese institutionaliserte form der präsentation. bewegung, im wahrsten sinn des wortes, wenn slammerInnen über die bühnen hüpfen oder auch einmal einen kopfstand machen. slam-literatur wird von vielen etablierten autorInnen noch immer als kinderkrankheit angesehen, was soweit geht, daß mittlerweile etablierte autorInnen ihre slam-vergangenheit unter allen umständen verleugnen und abstreiten. die jungen, sagen die einen, die werden auch noch draufkommen. das ist doch nix, sagen die anderen. und die immer noch existierenden radikaldemokratischen künstlerinnen wollen literatur und kunst jeder direkten bewertung keinesfalls aussetzen. dabei waren architektur, literatur, musik, malerei und bildhauerei von 1912 bis 1948 sogar olympische disziplinen. sich der bewertung zu widersetzen im sinne einer kollegialität und solidarität, widerspricht dem heutigen zeitgeist der ich-ag und selbstvermarktung drastisch und sollte schon deshalb anerkannt werden. doch der zeitgeist macht vor nichts halt. und so bleibt höchstens die abschottung gegen neues oder die kritische teilnahme – und die frage, kannst du jenseits der dreißig noch auf eine slam-bühne steigen. aber ja, notfalls sogar mit spazierstock. einige nicht mehr ganz junge autorInnen, zumeist mit hang zum kabarettistischen tun es. sie nehmen an poetry-slams teil, gewinnen manchmal sogar, werden aber auch oft nicht verstanden, weil das publikum tatsächlich im durchschnitt um jahrzehnte jünger ist als das lesungspublikum. ich muß auch nicht alles verstehen, was da gelesen und performt wird. wenn aber ein junger kollege nach dem slam kommt und fragt, ob er diesen text über diese alte frau vertonen darf, dann ist das schon viel. auch wenn es ein mißverständnis gab: in meinen augen ist die frau in dem text, von dem er sprach, nicht alt. es dauerte also ein weilchen, bis wir den richtigen text gefunden hatten.
der junge kollege, schon mit der „neuen rechtschreibung“ aufgewachsen, hatte einige fragen zu meiner rechtschreibung, daß und hinundher und photographieren fand er seltsam und, naja schon falsch. aber so wie nach durchsetzung der rechtschreibreform 1996 viele verlage ihre eigene hausrechtschreibung kreierten, weil sie die gesetzlich vorgegebene für nicht praktikabel hielten, so habe ich auch meine eigene rechtschreibung. neben der änderung der ß-schreibung ärgert mich insbesondere die sinnlose bzw. sinnstörende worttrennung. denn vor der rechtschreibreform konnte ich sicher sein, daß eine wohldotierte lesung eine gut bezahlte ist und eine wohl dotierte vielleicht geld einbringt. heutzutage weiß man das nicht mehr, denn alles ist nun wohl dotiert. möge das nicht bis zum sankt nimmer leins tag (diesen auswuchs der rechtschreibreform fand ich vor längerer zeit bei heise.de) so bleiben.
dialekt – das gesprochene beispiel
auch sehr bemerkenswerte änderungen im lauf meines literarischen lebens hat es in der dialektliteratur gegeben, der ich seit 30 jahren als autorin, aber auch als funktionärin (12 jahre präsidentin der österreichischen dialektautorInnen) verbunden bin. zu den früher recht eindeutig zuweisbaren dialekten sind solche gekommen, die die geschichte ihrer sprecherInnen hörbar machen. wenn z.b. die salzburgerin nach wien zieht und einen freund aus oberösterreich hat, so ist das meistens hörbar, schlägt sich jedenfalls in der schriftlichen form nieder als bewußtes spiel mit der sprache. heutzutage ist es auch möglich, eine von niederösterreich nach tirol übersiedelte autorin als tirolerin auftreten zu lassen, obwohl sie (ihrer herkunft entsprechend naturgemäß) keinen ausgeprägt tirolerischen dialekt spricht. auch die themen und der zugang zu ihnen haben sich geändert. die liedermacherbewegung in den 70er jahren, die ursprünglich ohne weibliche beteiligung auskam, brachte mit protestliedern gegen zwentendorf neuen schwung. seit den 50er jahren existierte bereits eine dialektliteratur mit einem anderen anspruch als die traditionelle mundartliteratur. der anspruch war ein künstlerischer, ein sprachspielerischer und genreübergreifender. die ikonen dieser neuen dialektliteratur wurden allerdings gleich so wirkmächtig, daß sie lange zeit als unumstößliche vorbilder galten. war es vor dreißig jahren noch weit verbreitet, daß in wien alle zu schreiben hatten wie artmann, so hat sich seither doch eine andere sicht auf die dinge durchgesetzt – und daran war ich maßgeblich beteiligt: im jahr 2000 wurde ich zur präsidentin der österreichischen dialektautorInnen (öda) gewählt, zu einer zeit, als dieser verein in der krise steckte. der „morgenschtean“, die zeitung der öda, war lange nicht erschienen, ich produzierte im alleingang eine null-nummer im zeitungsformat und konnte diese über eine kooperation mit der straßenzeitung „uhudla“ unter die leute bringen und ganze neue publikumsschichten gewinnen. daneben organisierte ich dialekt-workshops zur diskussion, wie denn dialekt zu schreiben sei. die regel lautet nun: mach dir deine eigenen regeln und halte dich daran. in den anderen bundesländern gibt es teilweise immer noch versuche, eine eigene dialekt-rechtschreibung vorzugeben.
lange war das bild der dialektautorin das: sie schreibt über blumerln und fleißige hände. punkt.
der realität hat das nie entsprochen. doch frauen hatten es schwer, auch wenn männer gerne lippenbekenntnisse abgaben. als beispiel für viele sei diese autorin angeführt: annemarie regensburger, tiroler dialektautorin, kritische kommentatorin der politik und vor allem frauenrechtlerin, wird immer noch auf ihre „oberländer mundart“ reduziert.
gleich geblieben ist die rezeption durch die germanistik, da ist man noch immer nicht viel weiter als bis artmann gekommen.
vom tippex zum reset – die technischen veränderungen
als es noch keine computer für den hausgebrauch gab, sondern begehbare raumgroße rechenzentren, wurde auch die mechanische schreibmaschine von der elektrischen abgelöst. die ersten elektrischen hatten gegenüber den mechanischen keine vorteile. der computer wurde von anfang an zur bildproduktion genutzt, nur mit den verfügbaren zeichen – und das waren damals weniger als heute – wurden auf dem gestreiften endlospapier bilder gedruckt, vorwiegend comicfiguren, pferdeköpfe und nackte frauen.
ich schrieb wie fast alle anderen auch auf der schreibmaschine. ich habe allerdings noch gesehen, daß ein autor seinen text handschriftlich an den verlag übergab. von der mechanischen zur elektrischen schreibmaschine änderte sich für mich nicht viel. ich schrieb meine texte mit der hand und tippte sie dann ab. ich schrieb mit füllfeder, mit tinte in allen farben, gold auf grün etwa. zum kopieren vollkommen ungeeignet. aber wer hatte außerhalb großer büros schon einen kopierer zur verfügung. tippfehler ausbessern konnte man mit tippex, war allerdings durchschlagpapier eingespannt, konnte der fehler dort nicht behoben werden. die besseren elektrischen schreibmaschinen hatten neben dem farbband auch ein korrekturband, man brauchte also das lästige tippex nicht mehr.
in den 80er jahren gab es die ersten elektronischen schreibmaschinen. im wuk-info, bei dem ich damals mitarbeitete, hatten wir so ein wunderding. es konnte 1000 zeichen speichern und auf einem kleinen display zeigen. man konnte blocksatz schreiben damit. diese maschine war unglaulich teuer, von heute aus betrachtet geradezu absurd teuer, würde man um dieses geld doch einen computer mit allem drum und dran kaufen können. daheim schrieb ich auf einer geschenkten elektrischen schreibmaschine, die ungefähr zwanzig kilo wog und so laut war, daß ich eine decke unterlegen mußte, um die nachbarInnen nicht durch meine nächtlichen schreibsitzungen aus dem schlaf zu reißen. dank meines damaligen freundes (und heutigen ehemanns) hatte ich schon 1990 zugang zu einem computer, auf dem ich meine texte schreiben konnte. nach einigen stunden vor dem monochrom grünen bildschirm sah ich die welt einige zeit rosarot. durch den computer änderte sich meine arbeitsweise drastisch. ich schrieb nicht mehr mit der hand (ausnahme: notizen unterwegs), sondern tippte alles gleich in den computer. cut and paste auf dem bildschirm war weitaus einfacher als cut and paste mit schere und tixo. als der computer allgemein verfügbares werkzeug wurde, gab es viele diskussionen, ob sich der schreibstil durch die technischen möglichkeiten sofort oder in zukunft ändern würde, ob durch die möglichkeiten von copy and paste texte mit vielen wiederholungen entstehen würden etc. einige leute behaupteten, solche änderungen sofort erkennen zu können und prophezeiten einen niedergang der kreativität. andere wiederum glaubten an völlig neue möglichkeiten für die kunst. es ist wohl eher so, daß sich die kommunikation im allgemeinen sehr gewandelt hat durch die heutigen elektronischen möglichkeiten, nicht aber die fähigkeit zur kreativität.
und sonst noch – freiheiten
die erste freiheit: der wechsel bringt die freiheit, die du kopfdurchwand in der pubertät gesucht hast. es ist schluß mit verhütung, monatlichen blutungen und allfällig damit verbundenen schmerzen.
die zweite freiheit: die pension, kein chef mehr, der keine ahnung von deiner arbeit hat, sich aber wichtig macht, wo immer es geht. kein wohlverhalten mehr notwendig. das könnte sich auch aufs schreiben auswirken.