1 Fass Problem

 

„Was machen Sie?
Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen.“
Rahel Varnhagen, Tagebuch 11.3.1810

Mit 1 Ruck aus dem Ellbogen heraus, weil darin die sprengende Sprungkraft, die die Faust am Ende in zielgerichteter Bewegung aufs Objekt übertragen kann: So wisch ich das Deckblatt über die glattgeschmirgelte Arbeitsfläche hinweg, die lackiert+poliert beste Bedingung für optimalen Abrutsch bietet. So saust mit Schwung das Papier übers Ende hinaus + fliegt in leichter Vollendung des angedeuteten L_bogenradius voran, segelt <1 schwerer Albatros> mitten durchs leere U, das die Stellung der Tische uns zUmutet, in das alles hineinfließt wie in 1 Sackgasse, da sitzen wir + müssen es auffangen, in unsere Taschen stecken, herumtragen, bei Gelegenheit auspacken + anschauen. Dann sollen wir drüber reden.

Der Albatros tut sich schwer mit der Landung, man sagt, er sei 1 begnadeter Segler. Er gleite von Windwellenkamm zu Kammwellenwind auf+ab und überwinde mühelos tausende Kilometer. Oh, wär doch genug Luft hier im Raum, ich bin sicher, mein Vogel würde durchs offene Fenster in die Welt hinausfliegen, weit übers Meer, und nicht wiederkehren.
Stattdessen muss er antriebslos auf dem Boden ver_enden, aufgespießt von 2 spitzschmalen Stöckeln, die ihm schwarzglänzend/geölt 2 Grabsteine vorsetzen. Klippklapp. Das wars. 3 Handbreit schienbeinenlang messen die Stelzen darüber bis zur Linie, die der Weißkittel zieht, in dem 1 Frau steckend das überwacht, was man macht. Schon stößt 1 Finger spitz wie 1 Gerichtspfeil aufrecht in die Luft – doch Halt! Da war doch was. Um_gehend wird die Hand in der Seitentasche versenkt: mit dem Finger: das soll man nicht mehr, hat man gelernt auf Weiterfortbildung: keine Zurechtweisung oder Bewertung. Was dann? Der Finger kann die Moderne nicht leiden, der würd gern wie früher direkt in die Menschen hineinstechen: Du da! Das ist 1 Hi(r)nverweis!
Das Nanana!, das in der Kehle bereit, der Patientin zu zeigen, wo man hier sei (Doch nicht im Kindergarten!), schluckt Frau Weiß hinunter, tastet nach festgezurrter Frisur, besinnt sich auf neue Methoden: keine Ja/Nein-, sondern offene Fragen, Interesse zeigen, Empathie. Spiegeln Skalieren Motivieren, das Gegenüber da abholen, wo es ist + mitnehmen. (Das heißt auch nicht mehr Patient Klient, wie nennt man das nun?)
Stimmt etwas nicht?
Ich schüttle den Kopf, das geht noch, das kenn – ja kann ich, das ist gewohnt. 1 Gesicht müsst ich aufsetzen dazu, aber ich find keins, das passt.

Wenn, dann wär das die Gelegenheit, die muss ich ergreifen, sonst ists zu spät. <Aufspringen – jetzt!> Und hinter mir hauts den Stuhl doch glatt um. Krachdach Scheberdeber. Das ist das Zeichen. Wenn schon ausflippen, dann richtig. <1 Ton 1 Ruf 1 Schrei!> Mit der Breitseite durch den Raum gefegt, hineingeworfen, was seit Jahren tief drinnen die Därme rührt, brodelt+bläht, heißatemvulkandampfig die Dämme bricht: W_rasend!

Aber.
Kein Wort bring ich heraus. Alle starren mich an. (Die Ewigkeit des Spinnennetz-Moments, wenn die Stille durch Stummheit so drückend laut, dass man keine Luft bekommt: Schritt für Schritt kommt sie näher.)

Ich muss sofort hier raus.
Die Stunde ist aber noch nicht zu Ende!
Nein, das ist kein Meta Mind Mirror. Das ist reine Information. Mit dem modalen „aber“ hätts zwar die Chance, mein übergroßes Appellohr zu erwischen, aber ich stell mich taub. Jetzt oder nie. Hinter mir Sinnflut Sintflut.

Ohne mich umzudrehen, hab ich das Bild im Rücken schon vor Augen im Kopf. Wie die Kittelfrau nach Karteikärtchen kramt, wo wichtige Gesprächsleithilfen notiert. Wie der rechte Finger beleidigt zuckt: Er hätte seine Argumente parat!
Alle mitpatientierten Augenpaare richten sich auf das Weis(s)heitszentrum, das wird auf Eruption hin untersucht. Wie gehts mit solch 1 Verhalten um? Das ist doch Rebellion: Wenn nämlich die das darf, dann jede_r: die Maltherapie boykottieren. Probet den Aufstand! Wenn Frau Kittel nicht die Ruhe selbst + einzwei Sätze parat, die alle sofort zurück an die Farbtöpfe knebeln, verliert sie den Griff, der die Puppenfäden in die richtige Richtung zieht, dann erwachen die Totgeglaubten wieder zum Leben, fangen auf Restakku an, aus dem Da_Sein herauszuholen, was geht. Dann verlässt der Nächste die Ergo, die andere schwänzt die Gruppenanalyse. Bis alle Therapeuten allein in ihren Therapieräumen sitzen, während die psychisch Gestörten Beeinträchtigten Menschen frei draußen in der Weltgeschichte herumlaufen + 1 Gefahr bilden. Überall röch es nach Amok.
Zum Glück für Frau Weiß sitzen hier nur leichte, freiwillige Fälle, die bringen 1 gewisses Motivationspensum mit, das muss man nur aktivieren.

Krachdach. Scheberdeber. Nr. 2. Auch die Tür hab ich geknallt, so weit so gut. Jetzt steh ich auf dem leeren Flur vor geschlossener Tür. (Du sperrst dich selber aus, hat jemand gesagt, an den ich mich nicht mehr erinnere. Der Überlebenstrieb streicht mit schwarzen Balken das Un_erträgliche aus.) <Der Tor steht vor dem Tor.> Nun gut. Jetzt mal nach_denken.

Zuallererst: Zweifel. Ob das die richtige Entscheidung war.

Falsch/richtig, gut/böse, auf/zu. Das macht den Unter_schied. Das sind die moralisch prosaischen Pole, an denen der Mensch sich festklammert, aufhängt, sein Leben drin einhängt + Erfolgsgrade Duldungsstatus Sub_stanZivierung bemisst. So linksrechts gepolt wirft er die Blicke in die umgebende Runde, wedelt mit Gesetzesbuch Bibel Dudengesamtausgabe vor anderer Leute Gesicht: falsch, alles falsch, wenn ichs doch sag.
<Ja aber.> (Ja aber, sagt der Mensch, wenn er nicht Nein sagen kann: Nein, das stimmt nicht, ich habe 1 andere Meinung = Recht! – aber auch nicht des anderen Willen nachgeben mag.) Ja aber, aus 1 differenten Perspektive betrachtet, ist das 2_seitige Denken doch längst überholt (Rund statt Scheibe).

Was heißt hier richtige Entscheidung? Wir befinden uns doch im Spannungsfeld Zug_zwang, das auf 1 Übersprungshandlung folgt, deren Grund offen vor uns daliegen würde, wäre dies nicht der Flur der psychiatrischen Klinik J. in W. bei B. Hätt ich draußen im Leben 1 gutes Verhältnis zu mir samt Gefühlen Gedanken Gewissen, wär ich dort. Aber dieses Gesamtkonstrukt meiner Selbst springt im 3_Eck, weiß oft nicht wohin (zuerst). Ich bin nicht 1 mit mir. <Mit den Worten der Kittel_Weisheit: Ich habe 1 Werte+ Interessenskonflikt. 1 kognitive Dissonanz. Denken + Handeln stimmen nicht überein. Und das Problem dabei, glaub ich, ist das Gefühl.>

Sagen wir so: Denken ist mein Ding. Ich kann gut+lang über Sach_verhalte sinnieren. Ich reflektiere analysiere strukturiere dir jeden blühenden fruchtbaren Gedanken aus seinem Garten hinaus in 1 Wüste voller trockener Bedenken hinüber. Und glaube nicht, die Sandkörner, mit denen ich meine Gründe zähle, würden mir reichen.
Dazu kann ich fühlen. Und zwar immens. Ich ermesse jedes Meer an möglichen emotionalen Momenten hinaus bis zum Horizont. Und ja, glaube nicht, dass mir die Tropfen reichten, mit denen ich meine Ängste fülle.
Damit hab ich gut zu tun. Mein labyrinthisches Nervenbahnnetz ist dauernd beschäftigt.
Bis ich zum Handeln komme, weiß ich nicht mehr, was ich WILL. Ich weiß nicht, wer ICH bin. Ich bin ver_rückt.

Wann hat das angefangen? <Fragen, die man nie stellen soll: Seit wann? Warum? Geht das wieder weg?> Auch das Nervenlabyrinth endet in 1 Sackgasse. Man erhält keine Antwort.

<On the other hand, Charlie Brown.> Sekundärer Krankheitsgewinn. Man hat, selbst wenn man nichts hat, 1 Problem. 1 Problem ist autark, es braucht keine Lösung. Im Gegenteil: Lösung bedeutet Auf_lösung des Problems und damit die Zerstörung des Hab+Guts. Bevor man nichts hat = Leere, hat man doch lieber 1 Problem.

Deshalb bin ich hier. Zum Aus_tausch.

  1. Ich tausche mich mit mir selbst aus = Denken+Fühlen bis eine_r von uns weiß, was das heißt.

  2. Ich hole mir aus anderen Köpfen Gedanken, die ich gegen meine austauschen kann, manche sehen viel schöner aus, die leben sichs leicht. (Das ist wie Blättern in 1 Hochglanzzeitschrift, wo unter der Überschrift Charity geschalte geschmückte Menschen den Veranstaltungsgrund verdrängen. Jeder sieht nur Ballkleiderbilderbuchfrauen+Krawattenzugmänner.)

  3. Ich lasse zu, dass 1 Gegenüber ein_sichtig in mich ist, damit wir erkennen, was mein Problem = was da falsch laufe, denn der Kopf sei aus dem Gleichgewicht. Vom alltäglichen Hantieren auf die schiefe Ebene geraten, rollte er, statt auf der Bowlingbahn Kegel zu werfen, ins Aus. Nun muss er durch das Nervenlabyrinth zum Ausgang zurück. Nur weiß ich gar nicht, wo er grad ist. Anscheinend blieb er irgendwo in den Gängen hängen – jetzt blockiert er das Gesamtsystem.

Frau Weißkittel spielt für mich Kegeljunge + schaut, wo der Kopf steckt. Ich hab ihr gleich gesagt, das hilft alles nichts. Selbst wenn sie ihn wieder ins Rollen bringt, mein Problem liege ganz woanders. Doch sie meint, ich entzög ihr so das Problem, indem ich es umwandelte wie 1 Chamäleon die Farbe, wenn man ihm zu nahe kommt. Daher schwingt sie ihre Fragen lassoweise: 1 nach der anderen – irgendeine Schlinge wird sich schon ver_fangen.
Ach, was denken Sie denn, dass Ihr Problem sei?
<(Fangfrage!)> Aber da spring ich rein, ich hab genug Aus_reden.

Sehen Sie dieses Fass da auf meinem Rücken? Ich weiß nicht, wo es herkommt. Früher war da 1 Rucksack, morgen könntens Flügel sein. Heute ist es 1 Fass, darin hab ich die Vergangenheit gespeichert, die wird mir tröpfchenweise intravenös infusioniert. <Verstehen Sie?> Man hat mir die Nabelschnur abgeschnitten + durch 1 Plastikschlauch ersetzt: Der injiziert mir jetzt permanent die Gefühle von einst über 1 zentralnervösen Zugang. Das ist mein Lebens_elixier. Alles, was man durch_erlebt, vor dem man geflohen, hat sich als Flüssignahrung ins Fass destilliert. Das reicht für mein Leben. <(Beweis ist mir die 70-jährige Frau, die nicht vergessen kann, was man ihr als Kind getan, die zu weinen beginnt, sobald sie er_innert.)>
Ja, sagt Frau Kittelweiß, gut inszeniert, aber Sie füllens auch tagtäglich auf. Das Fass ist ja oben offen! Mit jeder neuen Bewegung Begegnung, die das Leben auf Sie regnet, erhöhen Sie den sinkenden Pegel.
Natürlich! Das ist ja das Paradox! Man weiß, wovor man sich schützen muss – und sucht sich trotzdem in die gleichen Situationen zu bringen, wo man das Bekannte anwenden kann! Für Ungewohntes (Schön+ Zufriedenheit) gibt es kein Handlungsmuster. Angst+Schmerz sind die Koordinaten der Ach(!)sen, die mir mein Lebensquadrat ab_stecken. Und obwohl man versucht, den Schlauch zu knicken, das Fass zu kippen, versucht zu vergessen, was da auf den Rippen: er gibt nicht auf. Er braucht die Gefahr, um sein Gift spritzen zu können.
Wer?
Der, von dem ichs gelernt. <Wenn nur die Angst mit dir gestorben wär – aber nein – wie 1 sauren Geschmack im Mund hast du sie mir hinterlassen – und sooft ich auch würge+spucke – sie haftet am Gaumen gallig und verätzt mir jeden Genuss. 1000 Augenzwinkern tief schlummert der Hass.>

Da ist aber niemand. Kein Jemand. Kein Fass.
Hm.

<(FASS!)>
Wie kannst du mich er_gründen? Wenn der Albatros durchs Fenster geflogen wär? Warum ist er zu Boden gesegelt?
Bei Gefahr stell ich mich tot. <Aren’t we all just a bunch of Drama_Queens?>

Wie lange kann ich noch vor/hinter der Tür stehen, bevor ich denke/fühle/weiß, was der nächste Schritt?

1 Bild erarbeiten, das mein geheimstes Wahres nach außen kehren soll – wie kann man denn so 1 Aufgabe stellen, bitte?
(Malen Sie, was Sie gerne möchten.)

In der Musiktherapie soll man sein Herz raustrommeln. In der Gruppentherapie sein Problem offenlegen. In der Gesprächstherapie erkennen, dass man eigentlich keins hat. Wo ist denn das Problem? 1 ganze Geschichte habe ich drüber geschrieben, 60 Seiten: kommt nichts bei raus. Das Problem nicht loslassen können. Das ist der Teufelskreis.
Mein Problem lässt sich zum Glück gar nicht er_kennen: Es spielt Verstecken+Fangerlatz, das nimmt immer Reißaus.
Wenn man im Inneren horche, käme man drauf. Die Wahrheit sei im Bauch verbo(r)gen und warte nur drauf, dass der Kopf sich dem Zweithirn beuge.

Anscheinend hat keiner von uns beiden: <ich + die Wahrheit> Lust auf 1 Zwiegespräch.

In 3 Monaten soll so 1 Fall wie meiner gerichtet werden. Repariert Wiederhergestellt. Resozialisiert. Sobald man meinen Kugelkopf wieder eingeordnet eingenordet hat, kann er wieder über die Bahnen rollen und Kegel umschubsen. Möglichst viele Punkte mit 1 Wurf ist das Ziel: Erfolg durchs EFFEFF. Effektivität+Effizienz. Das Richtige richtig tun. Falls man nicht weiß, wies geht, lässt man sichs erklären. Die Bibliothek ist voller Ratgeber, wie man sich das Leben gut konzeptionieren kann, damit es gelingt. 1 gelingendes Leben. Damit es am Ende 1 gelungenes war.
<Aufstellen. Abliefern. Abgreifen.>

Bei der Aufnahme muss man 1 Test ausfüllen zur Einschätzung der aktuellen Lebensqualität: Haben Sie das Bedürfnis, hinunterzuspringen, wenn Sie auf hohen Brücken/Türmen stehen? Ja//eher Ja//eher Nein//Nein. Hatten Sie schon Selbstmordgedanken? Ja//Nein//Ich weiß nicht. Am Ende der Therapie soll sich 1 Ergebnis abzeichnen. 1 Verbesserung am besten. Aufsteigende Kurve. Positivität. Sonst muss man vielleicht da_bleiben. Nur keine Gefahr für sich oder andere bedeuten. Man muss die Kontrolle behalten.

Die Welt ist 1 System. Jeder nimmt dran Teil + muss sein An_ einbringen. Ich bin der Bedenkenträger, der streut immer Sand ins Getriebe Geriebe. Aber/Jedoch/Allerdings. Das ist meine Aufgabe. Damit könnt ich zufrieden sein. Oder nicht?

<Ich war schon so viele Menschen. Wie weiß man denn, wann man sich selbst so nahe gekommen ist, dass man zuletzt ICH sagen kann? Wie weiß man, was man WILL? Und wie besiegt man diese Scheißangst?>

Mein Rücken fühlt sich merkwürdig kalt an. Feucht. Tropft das Fass? Läuft es aus?

Als ich die Tür öffne, rutscht der Zeigefinger aus der Kitteltasche, schlüpft aber gleich wieder hinein.
Schön, dass Sie zurückgekommen sind.

Das Blatt hat sie mir schon aufgehoben hingelegt, da glänzt es weiß+breit.
Ich hab noch kein einziges Bild gemalt, es will einfach nicht raus aus mir, das Innere, will sich nicht anschaulich konkret fassbar erkenntlich zeigen.
Die Mitpatientierten schweigen mich aussagekräftig an und malen ihre Galgen, an die sie ihre Probleme hängen. Partner Politik Privatspielplatz. Jeder hat seins. Das malt er sich schön. Bläst es groß auf, damit die Umgebung es spüren kann. 3 Monate lang. Dann müssen wir wieder so tun, als wären wir normal. Träger+Bindeglieder der Gesellschaft. <Menschen.>
Im Moment bin ich 1 Netzwerksackgassenendpunkt.
Vielleicht zeichne ich das. 

 

Alle Rechte zum Text verbleiben bei der Autorin.

Prosa#4PS