Fünf Geschichten über Homophobie und Heterosexismus
Ein Bussi
Das Konzert war vorbei, der Jubel am Ende groß. Menschen lagen sich rauschig in den Armen und fühlten sich verstanden. J und ich stehen in der Schlange für die Garderobe und warten auf unsere Jacken. Auch wir sind euphorisiert, in unseren Köpfen pocht die Musik, die Beine wippen noch. Sie streicht meine Hand, wir küssen uns flüchtig. Mein Blick fällt auf den Mann hinter uns. Seine Augen quellen aus seinem schweinsrosa Gesicht, die Haare kleben verschwitzt am Kopf, es ist klar, er kommt aus der Hölle: „Ohhh, das war schön. Wollt ihr euch nicht noch ein Bussi geben?! Na kommt, gebt euch noch ein Bussi!“ Ich möchte zuschlagen, aber ich weiß, ich darf nicht. – An das Konzert erinnere ich mich nicht mehr, doch der Mann in der Schlange steht noch immer klar vor mir.
Mit 19
Ich war 19, meine Eltern hatten mich gerade aus dem Haus geschmissen, weil sie von meiner Beziehung mit D erfahren hatten. Ich war jung und unsicher auf den Beinen. Vor den meisten Menschen hatte ich Angst. Das Leben stand vor mir, aber ich hielt es, so gut es ging, auf Distanz. D war meine erste Freundin. Gemeinsam waren wir das erste Mal auf der Regenbogenparade. Ich wusste nicht, ob ich dazugehörte, ich ging nicht in der Mitte, ich ging am Rand. Ein grauköpfiger Mann, der sich hinter der Absperrung befand und die tanzenden Menschen beobachtete, zischte mir zu: „Wissen deine Eltern, dass du hier bist? Was die sich wohl über dich denken. …All das Leid, das du denen zufügst. Die schämen sich sicher für dich…“ – Am schlimmsten war, dass er Recht hatte.
Große Liebe
In Madrid fand ich meine zweite große Liebe. F trug im Pyjama den Müll runter, liebte Animationsfilme, Gedichte und scharfes Essen. Ich fühlte mich zu Hause. Sie fühlte sich entwurzelt, weil sie noch nie mit einer Frau zusammen gewesen war. Wir liebten uns sehr. Oft stellte sie mir Fragen, wer und was sie denn nun sei. Ich konnte es nicht beantworten. Heimlich schlich sie nachts in mein Zimmer, wo sie blieb, bis sie unentdeckt zurückkonnte. Das dauerte meist sehr lang und ich war glücklich. Manchmal aßen wir zusammen mit Freund_innen, sie saß am anderen Tischende, um sie herum Männer. An anderen Tagen sang sie zur Freude unserer Mitbewohner_innen Liebeslieder auf der Gitarre, und ich wusste, sie sang über uns. Einmal waren ihre Eltern zu Besuch. Sie mochten mich sehr, so sehr, dass sie versuchten, mich mit ihrem Sohn zu verkuppeln. F sagte nichts. Später dann doch: „Wenn meine Eltern herausfinden, dass wir eine Beziehung haben, werde ich das beenden.“
Essen gehen
„Ich mag einen Kebab“, sagt J am Heimweg. „Ok, um die Ecke von mir ist einer, lass uns hingehen“, schlage ich vor. Wir betreten den Laden, der Besitzer mustert uns kurz, so wie das Männer oft machen bei Frauen. „Zwei Kebab zum Mitnehmen, bitte!“ – „Mit allem?“ – „Ja, mit allem, einmal mit viel Scharf, einmal ohne.“ J und ich warten und sehen uns um. „Ich hab’ vor drei Wochen neu aufgesperrt, ist alles neu hier.“ – „Ah cool, ja, wirkt nett. Läuft es gut bisher?“ frage ich. „Ja, ganz gut, aber am Anfang ist es immer schwer.“ Während er das Fleisch vom Spieß schneidet, schaut er uns wieder an. „Ihr seid so schöne Frauen. Wohnt ihr hier in der Nähe?“ – „Jaja, gleich in der Nähe“, murmele ich, eine böse Vorahnung schleicht sich ein. „Ah, ok, ja und ähmm? Wohnt ihr zusammen?“ – „Nein“, antworte ich, immer noch freundlich. „Aber ihr seid doch…? Na, du weißt schon…“, fährt er fort, während er das Brot toastet. „Was meinst du?“ frage ich genervt und schon leicht zitternd vor Wut. „Naja, mhmm… was seid ihr? Befreundet? Seid ihr… na?!“ Er traut sich das L-Wort nicht aussprechen, wir machen ihm den Gefallen auch nicht. Angespannt rutsche ich am Stuhl hin und her, während er Salat in den Kebab schaufelt. „Na, ihr wisst doch, was ich meine“, sagt er mit den Händen wild gestikulierend. „Was soll das?“ J ist immer schneller im Reagieren als ich. „Na, ich frag’ ja nur. Ist ja ok, ist ja gut. So schöne Frauen. Und dann habt ihr…? “ Ein verheißungsvoller Grinser breitet sich über sein Gesicht aus. Er starrt uns in die Augen. Wir zahlen widerwillig und gehen. „Kommt ihr wieder, ja!“
Midnight Blues
Es ist Mitternacht und meine Arbeitskollegin und ich stehen mitten in Hipstertown. Das U-Bahn-Schild leuchtet über uns, es ist Zeit sich zu verabschieden, doch weil der Abschied für lange ist, zelebrieren wir ihn ausgiebig. Wir reden über unsere Mütter und Leute, die wir kaum kennen. Neben uns spazieren junge Menschen in engen Hosen vorbei, zielstrebig hasten sie durch die Nacht. Einer von ihnen beginnt 20 Meter entfernt in einen Busch zu pinkeln. Ich ignoriere ihn, bis er plötzlich zu mir herüberruft, seinen Penis noch in der Hand: „Hey du, bist du ein Bub oder ein Mädchen?“ Ich beschließe ihm keine Aufmerksamkeit zu schenken. „Hey, jetzt sag doch. Du wirst mir doch antworten können. Was bist du?“ Meine Arbeitskollegin blickt verlegen, ich tue ihr wohl leid, ich weiß aber nicht, warum. Irgendwann habe ich genug und rufe ihm zu, er solle mich in Ruhe lassen. „Also doch ein Mädchen, deine Stimme ist von einem Mädchen. Wieso schaust du dann aus wie ein Bub? Ich will das doch einfach nur wissen, jetzt sag halt!“ Ich werde aggressiver: „Verschwinde! Was geht dich das an!“ Er lässt nicht locker. Meine Existenz verlangt nach Erklärung und Rechtfertigung, er ist das Opfer einer hinterhältigen Täuschung. Unentwegt wiederholt er die gleichen Worte. Ich beschimpfe ihn weiterhin, ich bin einfach nur müde. Irgendwann kommt er auf mich zugestürmt, seine Hand zur Faust geballt. Ich habe keine Angst, es ist mir peinlich. Einer seiner Freunde packt ihn an der Jacke. Beim Weggehen stampft er ein paar Mal auf den Boden und schleudert seine Arme umher. Fast lache ich. „Also Leute gibt’s“, kommentiert meine Kollegin, immer noch hilflos. Ich fühle mich ertappt, so als wisse sie erst jetzt, wer ich wirklich bin. Endlich verabschieden wir uns.