Veganismus mit kannibalistischem Antlitz
Ich habe ja nichts gegen Dummheit, aber…, denke ich mir, als der am Kiosk vor mir stehende Quälgeist lauthals die Bild-Schlagzeile Das sollen die Griechen alles kriegen! mit dem komplett sinnfreien Satz Demnächst schicken wir denen auch noch das Brandenburger Tor nach Sofia? kommentiert und sich so vollkommen mühelos in die scheinbar endlose Kolonne der leider nicht auf den Mond abschiebbaren geistigen Brandstifter einreiht, welche nicht nur zu dumm sind, um zu verstehen, dass der wahre Feind natürlich nicht der durch die so genannte Eurokrise arbeits- und obdachlos gewordene griechische Busfahrer ist, sondern auch nicht kapieren, dass die echten Grenzen nicht zwischen solch kleingeistigen und völlig willkürlichen Konstrukten wie Ländern oder nationalen Zugehörigkeiten, stattdessen aber vor allem zwischen oben und unten, zwischen Klassen also, verlaufen und die deswegen mit ihrem verbalen Sondermüll den gesellschaftlichen Klimawandel seit Jahrzehnten in Gefilde treiben, in denen der braune Mob nach wie vor bestens gedeihen kann und nicht mehr nur gegen Flüchtlingsheime demonstriert, sondern sie, wie vor dreiundzwanzig Jahren in Rostock-Lichtenhagen, gleich anzündet und dafür auch noch mit Applaus belohnt wird, was dann wiederum Politiker aus Parteien, die überhaupt kein Problem damit haben, bedenkenlos das Dublin-Verfahren abzunicken, das Asylpaket II durchzupeitschen oder der Finanzierung von Frontex zuzustimmen und die ja überhaupt erst mit der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch oder jetzt eben Frankreichs in Syrien und all den anderen, mit Soldaten, Panzern, Waffenlieferungen und Bombenangriffen durchgesetzten, humanitären Interventionen das Leben der Menschen in ihrer Heimat so unerträglich gemacht haben, dass diese gar keine andere Wahl hatten, als zu fliehen, dazu veranlasst, betroffen von irgendeinem Pack oder Verbrechern aus Dunkeldeutschland zu schwadronieren und auch die Zeilenschinder der, natürlich nicht nur für irgendwelches Griechen-Gegeifere, sondern auch noch für unzählige andere Hetz- und Hasskampagnen bekannten Postille, sich genötigt sehen, auf allen Kanälen Refugees Welcome oder Wer stoppt den Hass-Mob? in die Welt hinauszuposaunen und zwar in etwa genauso lange, bis der letzte der benötigten Arbeitsmigranten endlich hier angekommen ist, wohingegen brennende Unterkünfte oder von Rechten in S-Bahnen angepinkelte Kinder bei den rund zwei Millionen Menschen, die für eben jenen Papiermüll tagtäglich sogar noch Geld ausgeben und deren Zahl ungefähr mit der Menge an Leuten korreliert, die der AfD bei der letzten Europawahl ihre Stimme gegeben haben oder bei denen Deutschland schafft sich ab mittlerweile im Bücherregal steht – was aber bestimmt nur reiner Zufall, oder, und das ist in diesen Tagen doch noch viel wahrscheinlicher, eine weitere unverschämte Erfindung der Lügenpresse ist – offensichtlich einen ähnlichen Rauschzustand hervorrufen wie der, durch die Chefetage von irgendwelchen freien und wilden Plattenfirmen, walzende Gedanke an das noch ungenutzte Marktpotenzial, das sich aus diesen Milieus für ihre, sich nur allzu gern als vollkommen unpolitisch gebenden, aber dennoch, kurz gesagt, keine Kritik an diesem heiligen Land, das ihre Heimat ist, duldenden Zugpferde herausholen lassen könnte, oder meinetwegen für Stammtischbruder Max Mustermann und all die anderen besorgten Bürger die Nachricht von einem weiteren gesunkenen Flüchtlingsboot im Mittelmeer, denn hierzulande gibt es die Welt zu Gast bei Freunden nur, wenn diese nach vier Wochen WM-Taumel wieder unter sich sein dürfen oder man als Eintrittskarte für diesen schwarz-rot-goldenen Club eine ausreichende Qualifizierung mitbringt, um sein gesellschaftliches Sein, das vordergründig ja immer noch bewusst durch die eigene wirtschaftliche Verwertbarkeit bestimmt wird, zu legitimieren, wohingegen irgendwelche Versager, deren armseliges Leben sich nur um ihr hässliches Auto, ihr neues Handy oder ihren nächsten Pauschalurlaub dreht und deren Weltbild mit dem ergaunerten Volkswagensommermärchen endgültig aus den Fugen geraten ist und die, wie das Exemplar vor mir, genauso viel Luft in der Birne wie in ihren Air Max® haben, hier weiterhin, da in ihrem Pass glücklicherweise die richtige Staatsangehörigkeit eingetragen ist, ohne jeglichen geistigen Mehrwert vor sich hin dümpeln dürfen, obwohl sie mit ihrer festen Überzeugung, dass die ganzen Kanaken ihnen die Arbeit wegnehmen werden, zumindest einmal goldrichtig liegen, denn natürlich werden sie euch den Job wegnehmen, aber das doch auch nur, weil sie, genauso wie ihr, auch nur in diesem alles bestimmenden kapitalistischen Raubtierkäfig überleben wollen und da, nach der herrschenden Survival-of-the-fittest-Ideologie eben meistens die clevereren und durchsetzungsfähigeren Leute eingestellt werden und für euch schlicht und ergreifend der Zenit beim politischen Teil der RTL2-News erreicht ist, wird euer Chef, der dieses abgefuckte Wirtschaftssystem repräsentiert, wohl kaum mit der Wimper zucken und euch gegen Menschen, die während ihres Horrortrips durch tausende Kilometer Wüste nicht nur von korrupten Bullen und Soldaten geschlagen und tyrannisiert, sondern auch noch von ihren Schleppern ausgenommen und drangsaliert wurden, anschließend aber trotzdem noch das Mittelmeer auf irgendeinem brüchigen Kutter bezwungen haben, austauschen, auch deshalb, weil es für euch schon einen unvorstellbaren Kraftakt darstellt, wenn ihr während eures täglichen Bauersuchtdenperfektentrödeltruppmittenimfrauentauschlebentag&nacht-Marathons von der Türklingel gestört werdet, sodass es bei diesem Hirnfutter auch keine sonderlich große Überraschung ist, wenn ihr nach eurem Rausschmiss eben nicht auf den Gedanken kommt, eurem Chef, dessen Teile und Herrsche ihr leider irgendwie als »Nach oben buckeln, nach unten treten« missverstanden habt, mit einer Brechstange die Visage zu verschönern, sondern euren Hass via Facebook in die Welt hinaus krakeelt, wo ihr dann, wenn ihr euch nicht gerade den Führer mit euren Allmachtsphantasien vom kollektiven Ausrotten der bärtigen Ziegenwämser zurückwünscht, Menschen, die mit nicht viel mehr als einer verdammten Plastiktüte hier ankommen als Wirtschaftsflüchtlinge beschimpft, anstatt mit eurem Kennste-einen-kennste-alle-Weltbild wenigstens einmal ins Schwarze zu treffen und sei es auch nur in die schwarze diamantbesetzte Krawatte einer der Herren, deren Vermögen das Bruttoinlandsprodukt Bulgariens übersteigt und die zum Spaß auf Hungersnöte und Kriege wetten, nur um dieselbigen anschließend eigenmächtig zu produzieren, was euch aber selbstverständlich euer, über alles thronender, Untertanenstolz mitsamt dem widerlichen Glauben an Autoritäten, Macht, Hierarchien, Disziplin, Ordnung und Leistung streng verbietet, sodass ihr lieber von irgendeiner Bedrohung der deutschen Leitkultur quatscht, welche ihr, wie eure Gefällt-mir-Häkchen bei Mario Barth, Helene Fischer und Til Schweiger beweisen, natürlich am allerbesten definieren könnt und im Zweifelsfall ist eure haarsträubende Rechtschreibung, die jedem Flüchtling, der seit zwei Wochen einen Deutschkurs besucht, die Tränen in die Augen treibt, auch nur eine gebrochen ironische Parodie auf die ganzen angeblich nicht integrierwilligen, klauenden und vergewaltigenden Parallelweltler da draußen, sodass es weder vom Inhalt, noch von der Form her verwundert, wenn ihr, nach Charlie Hebdo, irgendwelche abgeschmackten Talkshow-Sätze wie Mohamed-Karrikaturen mus ein Demokrahtie aushalten tun! [sic] zu reproduzieren versucht, doch im nächsten Moment wird mir schließlich klar, dass ich viel mehr eigentlich gar nicht zu erwarten brauche in einem Land, das selbst von den Terroristen nur die zweite Wahl abbekommt, da es die in hiesigen Gefilden residierenden Fundamentalisten gerade mal schaffen, lauwarme Drohungen gegen solche Zombiezusammenrottungen wie die Pegida-Demo in Dresden oder den Braunschweiger Karnevalsumzug zu richten und dann trete ich zwei Schritte nach vorne, tippe dem Deppen auf die Schulter und schreie ihm kurzerhand meine Gedanken, leicht abgewandelt und dadurch hoffentlich auch für ihn verständlich, in Form von Halt die Fresse und verreck doch einfach, du gehirnamputierter Vollidiot! ins Ohr, denn das wird man ja wohl noch sagen dürfen und angeblich braucht ja auch jede Wahrheit einen Mutigen, der sie ausspricht.
Und Andere, die sie aushalten.
Tippe ich, Ende Februar 2016 in der warmen Altbaustube hockend, in mein MacBook hinein, während ich ein viereurofünfundneunzig teures Erdbeerrhabarbersahnetortenstück auf Sojabasis vertilge, hin und wieder an meiner Fairtrade-Holunderblüten-Ingwer-Limonade nippe und währenddessen allen Ernstes auch noch glaube, dass ich etwas Gutes, etwas zum Nachdenken anregendes erschaffe, obwohl ich insgeheim doch eigentlich nur auf die Antwort irgendeines Literaturmagazins warte, in der ich mitgeteilt bekomme, dass sie den Kram abdrucken, damit ich mein Ego mal wieder auf Vordermann kriege und mir zudem auch noch einreden kann, dass ich etwas gegen die abscheulichen Zustände in diesen Zeiten gemacht habe, „dagegen“ war und nicht nur an schier endlosen selbstbeweihräuchernden Podiumsdiskussionen und autonomen Kaffeekränzchen in irgendwelchen besetzten und selbstverwalteten Elfenbeintürmen teilgenommen habe und vor allem, um die unzähligen Stunden, die ich an diesem Text herumgefuhrwerkt habe, irgendwie vor mir selbst zu rechtfertigen, anstatt etwas wirklich Sinnvolles zu machen und all die rechten Wutbürger, selbsternannten Asylkritiker, jeden unverbesserlichen Alle-potentiellen-Flüchtlinge-am-besten-schon-kurz-nach-der-Zeugung-im-Mutterleib-erschießen!-Hetzer, alle Brandstifter, die entweder durch die verbalen Kotzbrocken, die ihnen aus der Fresse fallen oder gleich durch Molotowcocktails Angst und Schrecken verbreiten und die daneben stehenden Kopfnicker, die ihre geballte Faust in der Tasche stecken haben und denen bei solchen Aktionen nicht viel mehr als »Endlich traut sich mal jemand!« durchs ansonsten ziemlich leere Hirnkästchen schwappt, alle Patrioten, Identitären, Obergrenzenbefürworter, Wir sind das Volk-Rufer, jeden einzelnen Schreibtischtäter, Abendspaziergänger, Fahnenschwenker, Aluhutträger, Geschichtsrevisionisten, Hasskommentareschreiber, all die neuen und alten konservativen und ewiggestrigen Dummfratzen mit einer dermaßen ausgeprägten Ich-Schwäche, dass sie sich selbst von einem gleichberechtigten DummfratzInnen so sehr in ihren steinzeitlichen Höhlenmenschenansichten angegriffen fühlen, dass sie dahinter nicht weniger als die Verschwörung eines daherfabulierten Matriarchats wittern, ein für alle Mal „dorthin“ zu prügeln, wo entweder geistesgestörte Diktatoren herrschen oder wahnsinnige Faschisten jeden abschlachten, der nicht genauso durchgeknallt wie sie selbst ist, minütlich Bomben einschlagen und Maschinengewehrsalven ertönen, Tod und Elend an jeder Häuserecke lauern, sie aus dreckigen Pfützen trinken und mit etwas Glück noch einen vergammelten Tierkadaver zum Abnagen finden, das Wetter zwischen sibirischer Kälte, brennender Wüstenhitze und sintflutartigen Regenfällen oszilliert, traumatisierte Kindersoldaten sich desorientiert durch Schutt und Asche kämpfen, Panzer über Babyleichen rollen, Cholera und Typhus noch zu den kleinen Problemen gehören, und sie gezwungen werden, ihre Losung Unkontrollierte Zuwanderung ist keine Chance so lange gebetsmühlenartig vorzutragen, bis sich endlich einer der sprengstoffbekittelten Selbstmordattentäter ihrer erbarmt und sie mit ins Jenseits nimmt.